Wann platzt die nächste IT-Blase?

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Prahlhans am MarktWann platzt die nächste IT-Blase?

6000 Milliarden Dollar vernichtete die Internet-Blase nach der Jahrtausendwende. Es gibt Anzeichen, dass sich das Horrorszenario wiederholt.

Gérard Moinat
von
Gérard Moinat
Auch bei der letzten IT-Blase hätte niemand gedacht, dass sie zerplatzt.

Auch bei der letzten IT-Blase hätte niemand gedacht, dass sie zerplatzt.

Internet-Pioniere wie Cisco, Google oder Amazon sind etablierte Aktien an der Börse. Ihre historischen Kursentwicklungen zeigen eine Berg- und Talfahrt. Nun sind die Internet-Aktien der zweiten Generation an der Reihe.

Am Donnerstag ging der Online-Musikservice Pandora mit einem geschätzten Wert von 2,6 Milliarden Dollar an die Börse. 16 Dollar wurde zu Beginn für die Aktie bezahlt; mittlerweile ist der Kurs um mehr als 17 Prozent gefallen.

Das ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die im geplatzten Börsenmärchen schon die Wiederholung einer Bubble in der Informationstechnologie (IT) zur Jahrtausendwende zu erkennen glauben. Denn weshalb soll eine Firma, die stets nur rote Zahlen schrieb, zeitweise bis zu vier Milliarden Dollar wert sein?

Ähnlich LinkedIn und Renren

Die Aktie des Karrierenetzwerks LinkedIn teilt das gleiche Schicksal. Der Titel schoss nach dem Börsengang Mitte Mai von 45 auf mehr als 120 Dollar hoch – nun steckt das Papier bei weniger als 70 Dollar fest. Das entspricht immer noch einem stattlichen Börsenwert von 6,45 Milliarden Dollar.

Und auch die Aktie des chinesischen sozialen Netzwerks Renren stieg nach dem Börsendebüt auf gut 18 Dollar – sie zählt heute noch weniger als 7 Dollar. 2,6 Milliarden Dollar ist das Unternehmen so trotzdem noch wert. Manch einer vermutet, dass der Börsengang von Facebook den Anfang vom Ende einer neuen IT-Bubble einläutet.

«Von Blase weit entfernt»

UBS-Analyst Tony Andersson ist anderer Meinung. «Von einer neuen Blasenbildung im IT-Sektor sind wir heute weit entfernt», glaubt er. Denn das für 2012 prognostizierte durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis im gesamten IT-Sektor liege derzeit lediglich bei 12,8. «Eine beruhigend tiefe Zahl, im Vergleich zu dem, was wir zur Jahrtausendwende sahen», so Andersson. Damals wiesen viele Titel einen Wert von über 100 auf.

Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis besagt, wie oft der geschätzte Jahresgewinn des Unternehmens im aktuellen Börsenwert enthalten ist. Je höher der Wert, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass die Aktie das Versprechen nicht halten kann.

Hinzu kommt laut Anderson, dass heute anders als zu Zeiten der letzten Internet-Blase praktisch alle Unternehmen der Informationstechnologie Einkommen generieren. Zur Jahrtausendwende hätten selbst Unternehmen ohne oder mit geringem Gewinn hohe Bewertungen aufgewiesen, so der UBS-Analyst.

Übertreibung im Cloud-Zirkus?

Der einzige Bereich in der IT-Welt, der heute «mögliche Übertreibungen» sehe, sei der Cloud-Bereich, so Anderson. Der Begriff Cloud Computing beschreibt das, was wir heute täglich nutzen: Daten übers Internet abrufen und teilen. Unternehmen wie Salesforce.com, Arm.com oder VMware.com geniessen heute bereits ähnlich hohe Bewertungen, wie viele IT-Firmen vor zehn Jahren.

Ein weiterer Grund für seine überwiegend positive Einschätzung: Klassische IT-Firmen wie Microsoft, RIM, HP oder Samsung sind derzeit wahrhaftig «günstig» bewertet. Dieser Meinung ist auch der Schweizer Spezialist Robert Weiss. Klassische IT-Firmen wie IBM, Intel, Cisco, Apple usw. könnten dem Treiben gelassen zusehen, da diese Produkte verkaufen, die für die IT-Welt «unumgänglich» seien, so Weiss.

Kann Facebook Nutzerdaten versilbern?

Doch Weiss sieht das Problem innerhalb der Informationstechnologie anderswo – wieder im Internet – wie vor zehn Jahren. Und dort vor allem im Bereich der Sozialen Netzwerke. Denn der Wert von Facebook und Co. seien nur die Benutzerdaten.

«Und diese können die Unternehmen nur dann zu Geld machen, wenn sie auch weiterverkauft werden können» – was allerdings meist in den Geschäftsbedingungen untersagt sei. Also ist der effektive Wert gemäss Weiss fraglich. Bei Google sehe das etwas anders aus, da bei dieser Firma bereits ein sehr breites Spektrum an Angeboten realisiert worden sei.

Auch Andersson sieht das Problem von Facebook in der Frage, wie das Unternehmen seine 500 Millionen Nutzer-Informationen versilbern kann. Denn Leute gingen zum Chatten und nicht zum Shoppen auf die Seite. Bei Google sei das kein Problem, weil der User dort aktiv nach etwas suchen würde und sich Werbung darum auch künftig viel besser verkaufen lasse.

Courant Normale?

«Entscheidend für die Zukunft ist, wie sich Facebook weiterentwickelt und ob die bestehenden Nutzer die Plattformen bereits in ihr Leben eingebunden haben», sagt Gabriel Bartholdi, Analyst der Zürcher Kantonalbank. Mittelfristig dürfte sich Facebook gemäss Bartholdi aber weiterhin guter Wachstumszahlen freuen, da es in den wenig entwickelten Ländern noch kaum verbreitet ist.

Andrea Back - Professorin am Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen - glaubt, dass die Investoren heute nicht mehr ganz so blind in Jungunternehmen, so genannte Start-ups, finanzierten wie zu Zeiten der .com-Blase. Sowieso sei damals zwar eine «Spekulationsblase geplatzt» – aber viele Unternehmen mit webbasierten Dienstleistungen hätten überlebt und ihre Erfolgsposition ausgebaut.

Und sowieso glaubt Back: «Es ist bei jeder Innovation so, dass viele Ideen und Prototypen an den Start gehen, aber nur wenige sich letztlich am Markt durchsetzen und nachhaltig etablieren.» Insofern sei das, was jetzt geschehe, durchaus normal. Selbst wenn es in dieser Branche eine Marktbereinigung gebe – oder wie es Back nennt: einen Shake-out.

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