DetailhandelWarum wir personalisierte Preise für unfair halten
Dass Detailhändler personalisierte Preise einführen, sorgt bei Konsumenten für rote Köpfe. Auch Experten sind sich einig: Davon profitiert nur der Anbieter.
Das sagen Konsumexperten zu den individuellen Preisen.
Bezahlt der Nachbar weniger als ich? Diese Frage dürfte Schweizer Konsumenten künftig beschäftigen. Denn der Detailhändler Migros testet seit September in einem Pilotprojekt personalisierte Rabatte. Aktionen, die auf den eigenen Einkauf abgestimmt sind – das tönt erst mal gut. Schliesslich profitiert der Kunde davon, wenn der Detailhändler weiss, dass Pampers auf der Einkaufsliste stehen. Jedenfalls dann, wenn man dadurch Rabatte auf die Windeln bekommt.
Doch so einfach ist das nicht. Sara Stalder, Geschäftsleiterin bei der Stiftung für Konsumentenschutz, kritisiert, dass den Kunden die Hoheit über die Preise genommen wird: «Detailhändler wissen dank Kundenkarten wie Cumulus alles über ihre Kunden. Sie kennen die Familiensituation – aber auch die Zahlungsbereitschaft und das Einkommen.» Oft ist den Konsumenten gar nicht bewusst, wie viele Tausende von Datensätzen sie den Detailhändlern so zuspielen. Die Folge: Bei jemandem, der beispielsweise ständig Pampers kauft, könnte der Händler versucht sein, den Preis nach oben anzupassen.
Kaufkraft nicht ausschlaggebend
Migros behauptet aber, die Kaufkraft seiner Kunden nicht zu kennen. «Es geht lediglich darum, unseren Kunden möglichst relevante Angebote zu machen», betont Migros-Sprecher Tristan Cerf gegenüber 20 Minuten.
Doch der schlaue Konsument lässt sich laut dem Konsumpsychologen Christian Fichter nicht so leicht übers Ohr hauen. «Der Kunde weiss: Wenn der eine ein Produkt günstiger erhält, heisst das für den nächsten umgekehrt, dass er dafür mehr bezahlt,» so Fichter, der auch nicht glaubt, dass die ersten Reaktionen auf die Aktion von Migros – anders als der Detailhändler selbst behauptet – positiv waren. Auch die über 600 Leserkommentare auf 20 Minuten sind mehrheitlich kritisch.
Der Unmut ist gross
Tatsächlich war der Unmut bereits vor rund einem Jahr gross, als Coop Online ein ähnliches Pilotprojekt startete. Der Detailhändler verzichtete deshalb darauf, personalisierte Rabatte einzuführen. Auch die selbstlose Absicht dahinter nimmt Fichter der Migros nicht ab. «Unter dem Strich profitiert nur einer, und das ist der Anbieter selbst», sagt er.
So richtig neu sind solche personalisierten Preise aber eigentlich nicht. So ist es in der Flugindustrie längst üblich, dass Passagiere für denselben Flug unterschiedlich viel bezahlen – je nach dem, zu welchem Zeitpunkt sie buchen. Doch obwohl wir wissen, dass der Sitznachbar neben uns für sein Ticket höchstwahrscheinlich nicht denselben Preis bezahlt hat, scheint uns das weniger zu stören. Weshalb? «Der Einkauf ist in dieser Situation schon etwas länger her und die Emotionen deshalb nicht mehr so hoch», sagt Fichter. Und Stalder erklärt: «Bei den Flugtickets erklärt sich der variierende Preis mit dem Zeitpunkt des Kaufes. Das ist nochmals etwas anderes.» Wer früher bucht, bekommt den Flug meist günstiger. Das leuchtet ein.
Weniger durchsichtig ist das Pilotprojekt der Migros. «Schlussendlich werden dynamische Preise zu dynamischem Einkauf führen», meint deshalb Fichter. Soll heissen: Die Konsumenten werden für ihren Einkauf ins Ausland ausweichen.