Wo es überall schon dynamische Preise gibt

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Individuelle RabatteWo es überall schon dynamische Preise gibt

Was die SBB prüft, ist andernorts schon Realität: Je nach Kunde, Uhrzeit oder Nachfrage wechseln die Preise. Am schwersten mit dem Konzept tut sich der Detailhandel.

von
K. Wolfensberger

Wann empfinden wir dynamische Preise als gerecht und wann nicht? Experten geben Auskunft im Video (Quelle: 20 Minuten).

In Geschäften bezahlen alle Kunden jederzeit denselben Preis: Diese Regel des Handels ist heute nicht mehr sakrosankt. Aktuell prüft die SBB, ob die Läden in Bahnhöfen sogenannte dynamische Preise einführen sollen. Je nach Tageszeit, Wetter oder Konkurrenzsituation würden die Preise dann schwanken. In welchen weiteren Bereichen sind dynamische Preise schon Realität? Eine Übersicht.

• Online-Elektronikhändler

Viele Online-Elektronikhändler passen ihre Preise teilweise mehrmals täglich an. Sie orientieren sich nicht nur an der Nachfrage auf dem Markt, sondern reagieren auch auf Preisnachlässe der Konkurrenz. Ebenfalls eine Rolle spielt die Verfügbarkeit einer Ware auf dem Markt. Die dynamische Preisgestaltung ermöglicht den Händlern bei beliebten Artikeln eine Umsatzsteigerung von bis zu 30 Prozent.

• Hotels

Wer ein Hotel über eine Plattform wie Booking.com bucht, wird bei fast jedem Besuch der Website mit anderen Preisen für ein- und dasselbe Zimmer konfrontiert. Die Plattformen achten darauf, ob ein Besucher die Website schon öfter besucht hat. Bei jedem Ansehen steigt der Preis leicht. Die potentiellen Gäste erhalten so den Eindruck, dass das Hotel schon fast ausgebucht ist.

• Uber

Taxi-Anbieter wie die amerikanische Firma Uber kennen in Momenten hoher Nachfrage das sogenannte «Surge Pricing». Bei diesem werden die Preise mit einem je nach Situation unterschiedlich hohen Faktor multipliziert, der den Kunden aber transparent angezeigt wird. «Die dynamische Preisgestaltung ist ein Weg, um die Verfügbarkeit von Fahrzeugen sicherzustellen», begründete Ex-Uber-Schweiz Chef Rasoul Jalali den Zuschlag gegenüber 20 Minuten. Dank der höheren Preise würden mehr Fahrer motiviert, arbeiten zu gehen, womit Passagiere weniger lang auf ein freies Fahrzeug warten müssten.

• Amazon

Bei den Onlinehändlern ist Amazon der Pionier der dynamischen Preissetzung. Tests unabhängiger Experten haben gezeigt, dass zum Beispiel der Preis eines iPhones innerhalb von bloss einer Stunde auf Amazon.de locker um 100 Euro variieren kann. Die maximale Preisspanne bei Elektronikprodukten im Verlauf eines Tages kann bis zu 240 Prozent betragen. Für die Änderung der Preise sind dabei oftmals komplexe Algorithmen zuständig, die für den Internet-Giganten die Marge erhöhen sollen.

• Skigebiete

Ski fahren ist ein typischer Schönwetter-Sport. Um dies zu verändern, haben sich dieGebiete Pizol und Belalp entschieden, ein Konzept mit dynamischen Preisen einzuführen. Je schlechter das Wetter, desto mehr sinken die Preise. Bei richtigem Hundewetter bezahlen die Kunden in Belalp für die Tageskarte noch 28 statt 56 Franken. Die Wetterdaten, mit denen berechnet wird, wie stark der Preis sinkt, stammen von SRF-Meteo.

• Flüge

Einer der Vorreiter von dynamischen Preisen ist die Airline-Branche. Je nach Zeitpunkt und Nachfrage ändern sich die Preise für Flüge. Laut Experten gelingt es der Branche gut, vielen Kunden das Gefühl zu geben, sie hätten ein Schnäppchen gelandet. Die schwankenden Preise sind bei den Kunden daher relativ gut akzeptiert.

• Bahnreisen

Schon lange vor der SBB bot die deutsche Bahn Sparbillette an. Bei diesen Tickets müssen im Gegensatz zu regulären Billetten Datum und Uhrzeit genau festgelegt werden. Mit grossen Werbekampagnen machte die Bahn auf die Tickets, die theoretisch ab 29.90 Euro erhältlich sind, aufmerksam und kopierte damit Airlines.

• Parkplätze

Parkieren kann die Hölle sein. Oft gibt es keine freien Parkplätze. San Francisco löst dieses Problem nun mit dynamischen Preisen. Die Belegung innenstädtischer Parkplätze wird elektronisch gemessen. Sind sie im Schnitt in mehr als 85 Prozent der Zeit belegt, steigt die Gebühr pro Stunde alle drei Monate um 25 Cent. Ist die die Belegung tiefer, sinken die Preise um denselben Betrag. Die Autofahrer erhalten einen finanziellen Anreiz, auch weniger zentral gelegene, dafür günstigere Parkplätze zu nutzen.

Der Vergleich der verschiedenen Branchen und Unternehmen zeigt: Die dynamische Preisgestaltung funktioniert unterschiedlich. Sie lässt sich aufgrund der Tageszeit, als Reaktion auf das Verhalten der Konkurrenz, nach Wochentag, nach Wetter oder aufgrund von Veränderungen bei der Nachfrage anwenden. Auffällig ist auch: Ausser im Rahmen von Pilotversuchen wird das Konzept im Detailhandel und im Convenience-Markt bisher nicht oder kaum angewandt. Die SBB wären bei einer definitiven Einführung in ihren Bahnhofsläden also Vorreiter in dem Bereich.

Kunden haben kein Verständnis

Für den Wirtschaftspsychologen und Hochschuldozenten Christian Fichter ist der Grund klar: Im Gegensatz zu anderen Branchen werden individuelle Rabatte und dynamische Preise von den Kunden im Detailhandel als unfair erachtet. Der Konsument frage sich: «Wieso soll das Zahnbürstchen hier mehr kosten als anderswo?»

Auch Führungskräfte aus dem Detailhandel stehen einer Einführung von dynamischen Preisen im Detailhandel eher kritisch gegenüber, wie eine aktuelle Studie des Beratungsbüros Fuhrer & Hotz zeigt. Nur ein Viertel der befragten Fachleute befürwortet eine Einführung im Convenience-Markt. Umgekehrt lehnen 30 Prozent der befragten Experten dynamische Preise in dieser Branche dezidiert ab.

Kebab ist spätabends teurer

Sollte es trotzdem zu einer Einführung dynamischer Preismodelle im Convenience-Handel kommen, sehen die Experten primär Anwendungsmöglichkeiten nach Tageszeit. Ein Beispiel, das es schon heute gibt und von Kunden relativ gut akzeptiert wird: In gewissen Kebab-Läden kostet der Döner spätabends mehr als zu normalen Tageszeiten.

Beinahe jeder Dritte der befragten Experten kann sich ausserdem gut dynamische Preisanpassungen als Reaktion auf das Preisverhalten der Konkurrenz vorstellen. Eher wenig Anklang findet dagegen die Idee, Preise gewisser Produkte bei Sonnenschein beziehungsweise Regen anzupassen.

Tipps gegen Dynamic Pricing

KWO/LIN

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