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Portrait«Ist doch schön, wenn die Leute meine Musik mögen»

Alphornbläserin Lisa Stoll fährt mit ihrer Mutter an Ländlerfeste. Dort sitzt sie mit Leuten am Tisch, die fünfmal so alt sind wie sie.

Christina Duss
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Christina Duss

Stadtkeller, Luzern: Eine japanische Touristengruppe ganz hinten an den langen Tischen untersucht ihre Luzerner Chügelipastetli und die Salatteller mit der dicken weissen Sauce. Lisa Stoll, 14, sitzt ganz in der Nähe, kaum sichtbar, weil sie so zart ist, eingeklemmt von den älteren Sängern des Jodlerklubs Giswil, vor einem riesigen Teller mit Geschnetzeltem und Rösti. «Musst imfall nicht alles essen, gell», sagt Mutter Virginia, die ihr gegenüber sitzt und einen Schluck Kaffee nimmt. Sonst sprechen die beiden nicht viel. Nur wenn sich ältere Jodler zu Lisa runterbeugen und ihre Hand schütteln, «das Alphornspiel, jaja, es ist also eine Freude». Die Leute merken manchmal nicht genau, wann der Smalltalk ein bisschen zu lang wird. Dann sagt Virginia ein paar nette Ahas und Ne-neis, Lisa nickt und lächelt. «Ist doch schön, wenn die Leute meine Musik mögen», sagt sie.

DRS Musikwelle – 317  000 Zu­hö­rer an einem ganz normalen Tag – sendet live aus dem Luzerner Stadtkeller. Gleich ist Lisa dran. Ein bisschen nervös sei sie schon, sagt sie. Obwohl sie ja eigentlich ein alter Hase ist: Sie spielt seit vier Jahren Alphorn, gilt als Ausnahmetalent und trat schon in «Benissi­mo» auf, zweimal im «Musi­kantenstadl» und gewann beim «Silvesterstadl» den Preis als Beste Nachwuchskünstlerin. Später möchte sie vielleicht mal Grafikerin werden, sie zeichnet gern Comics.

Im Moment ist sie aber noch Musikerin: Vier- bis fünfmal im Monat wird sie für eine volkstümliche Veranstaltung gebucht. Bis im Mai nächstes Jahr hat sie schon Termine. Dann steckt Mama Virginia für Lisa die zwei Teile des Alphorns – das Mundstück steckt Lisa selber drauf – zusammen. Zeit für den Soundcheck. Lisa macht das, was wir tun, wenn wir schnaubende Pferde nachahmen, einfach ohne Ton, um ihre Lippen warm zu machen. Sie streicht sich die langen Haare über die Ohren, nicht dahinter, steht ganz gerade und bindet sich die Schürze der Schaffhausertracht nochmal fest.

Drei Wochen später: Bergchilbi im Restaurant Ämpächli. Lisa Stoll trägt wieder die speziell für sie gefertigte Tracht, geschnürtes schwarzes Oberteil mit den weissen Puffärmeln, gestreifte lange Schürze («zuhause aber Jeans, T-Shirt und Sneakers»). Sie und ihre ganze Familie sind mit dem Auto vom Bauernhof in Wilchingen, Schaffhausen, ins Glarnerland gereist: Mutter Virginia, die immer dabei ist, Vater Walter. Und ihre kleine Schwester Tina, die sich zu solchen Ausflügen immer ein bisschen überreden lassen muss: Vom Ämpächli kann man zum Glück mit Kettcars bis zur Talsta­tion in Elm rasen. «An den Prix Walo wollte sie auch nicht kommen», sagt Virginia. Bis die Eltern ihr sagten, dass Rapper Bligg komme. Tina hopste ins Auto. Sie ist ein Fan. Könnte sich Lisa denn auch vorstellen, so wie Bligg mal Pop und Volksmusik zu mischen? «Passt nicht zum Alphorn.»

Die Sonnenterrasse füllt sich langsam. Hier gibt es keinen abgesperrten VIP-Bereich. Volksmusikstars mischen sich unters Volk. Ständig kommen die Leute auf Lisa zu, um ihr zu gratulieren. «Das machst du gut», sagen sie, und: «Darf mein Sohn mit dir ein Foto machen?» Lisa lächelt sich durch die Meute, schreibt Autogramme: « -lichst, Lisa.» Kurz darauf macht Volksmusik-Grösse Carlo Brunner, der allen drei Küsschen gibt, Soundcheck. «Ich bin Carlo», sagt er ins Mikrofon, und die Leute schmunzeln. Schon klar. Eine ältere Frau mit asymmetrischem Haarschnitt macht Fotos mit ihrem iPhone. Als das Stück fertig ist, klatscht Lisa, den Mund voll mit Älplermagronen. «Das ist doch erst die Hauptprobe, liebe Leute!», ruft Carlo Brunner. Die Volksmusikfamilie Oesch's die Dritten lädt die Bühnenutensilien aus dem Familienvan.

Noch 15 Minu­ten bis zu Lisas Auftritt. Die Stars der Volksmusik haben Schaulustige angelockt. Ein Mädchen, das wie Lisa 14 ist, hat die Alphornbläserin «schon einmal in einem Heftli beim Gross­mami» gesehen. Im Ämpächli sitzen viele äl­te­re Leute. Nervt das denn nicht? «Das macht mir wirklich gar nichts aus. Hauptsache, den Leuten gefällts», sagt Lisa. Wird sie in der Schule auf ihr Hobby angesprochen? «Es ist nicht so ein Thema.» Nur dann, wenn ihre Mitschüler sie am TV sehen. Aber es wird sicher nicht gestichelt, nur weil sie Ländlermusik macht. «Sie hören aber schon eher Rihanna.» Eine andere Zuschauerin (ihr Mann lässt sich gerade mit Mutter Oesch fotografieren) sagt: «Also ich würde das meine Tochter nicht machen lassen. Lisa ist zu jung, um ein anderes Gesicht auf­zusetzen.» Die Gefahr, in der Musikszene abzuheben sei schon da, sagt Papa Walter. «Aber sie lebt auf dem Land. Hilft bei der Arbeit. Sie fährt jetzt sogar Traktor und ist bis jetzt auf dem Boden geblieben.» Und was wünschen sich die Eltern noch für ihre Tochter? «Dass sie ein langes, glückliches Leben hat, das mit Musik gefüllt ist», sagt Virginia.

Fünf Minuten bis zum Auftritt. «Die Alphornbläser mit den roten Köpfen und den Pfuusbacken, die machen das falsch», sagt Lisa, während sie das Mundstück warmbläst. «Man muss das Zwerchfell benutzen, das ist der Trick.» Dann steigt sie auf die Bühne, die Musiker spielen behutsam im Hintergrund. Lisa ist der Star.

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