Francesco Carrozzini«Nichts war härter als der Tod meines Vaters»
Mit nur 31 Jahren ist er bereits ein Starfotograf. Francesco Carrozzini über Almodóvar, Armani, Keith Richards - und seine langjährige On-off-Beziehung.
Herr Carrozzini, Sie sind erst 31 Jahre alt und gehören bereits zu den erfolgreichsten Star- und Modefotografen. Ihr Traum ist es jedoch, Filmregisseur zu werden. Weshalb hat es mit der Filmkarriere noch nicht geklappt?
Francesco Carrozzini: Die Faszination allein reicht nicht, um Filmregisseur zu werden. Mir fehlt die nötige Zeit, um mich dem Film zu widmen. Die Fotografie und das Drehen von Musik- und Werbevideos nehmen meine ganze Zeit in Anspruch. Sobald ich jedoch die richtige Geschichte finde, schreibe ich sie und drehe den Film.
Sie haben in Mailand Philosophie studiert, ohne das Studium abzuschliessen. Weshalb?
Im Jahr 2001 wollte ich die London Film School besuchen. Doch nach 9/11 wollte meine Mutter nicht, dass ich nach London ziehe. Ich blieb also in Italien und studierte Philosophie. Ich legte zwar die Zwischenprüfungen ab, war aber gleichzeitig längere Zeit im Ausland - u. a. in den USA und ein ganzes Jahr lang in Madrid. Deshalb habe ich auch die Lizarbeit nie geschrieben.
Was haben Sie ein Jahr lang in Madrid gemacht?
Nichts! Ich hatte viel Fun. Ich ging jeden Abend aus, besuchte aber tagsüber einen Spanischkurs.
Hat Ihnen Spanien Impulse gegeben?
Ja, Spanien hat eine grosse Bedeutung in meinem Leben. Die Kultur fasziniert mich - u. a. die Filme von Pedro Almodóvar. Er war übrigens der erste Star, den ich fotografiert habe. Spanien war auch eine Premiere für mich: Es war die erste grosse Reise, die ich allein gemacht habe. Ich bin mit dem Auto durch ganz Spanien gefahren, um das Land kennenzulernen. Zum Leben käme für mich nach New York wahrscheinlich nur Madrid in Frage.
Welche fünf Momente Ihres Lebens müssten in einem autobiografischen Film über Sie enthalten sein?
Gute Frage! Meine Geburt. Meine erste Zigarette, an die ich mich sehr gut erinnere. Der Tag, an dem ich mich zum ersten Mal verliebt habe - oder es wenigstens geglaubt habe. Sex wäre ein vierter Moment. Fehlt noch ein gewaltsamer Moment: Mein Tod oder ein Motorradunfall, den ich einst hatte und bei dem ich Bilder aus meiner Vergangenheit sah - wie ein Flashback.
Welche Bedeutung hatte die erste Zigarette für Sie? War es ein Akt der Rebellion?
Mit dem Rauchen habe ich eine On-off-Beziehung. Ich kann zwei Jahre lang nicht rauchen, dann fange ich wieder damit an. Es ist die instabilste Beziehung meines Lebens. Mein Vater hingegen bezeichnete die Zigarette als seine beste Freundin. Er hat sein ganzes Leben drei Päckchen pro Tag geraucht - bis er daran gestorben ist. In meinem Leben hat mich kein Ereignis härter getroffen als der Tod meines Vaters.
Wie haben Sie den Tod Ihres Vaters überwunden - wenn überhaupt?
Ich glaube, einen solchen Einschnitt im Leben überwindet man nie ganz. Aber das Leben geht weiter. Ich habe viel gearbeitet und neue Projekte in Angriff genommen. Man darf sich vom Schmerz nicht lähmen lassen. Der Schmerz kann auch etwas Schönes sein, wenn man dadurch stärker wird.
Sie sind in einem neuen Werbespot von Armani zu sehen. Wie war es für Sie, vor statt hinter der Kamera zu stehen?
Ich habe mich vor der Kamera wohlgefühlt. Ich bin nicht scheu und auch nicht darauf fixiert, perfekt zu erscheinen. Giorgio Armani kenne ich schon seit vielen Jahren. Als er mich anrief, habe ich sofort zugesagt. Schliesslich ist Armani das grösste Fashionlabel Italiens. Im Oktober werde ich übrigens in Rom eine kleine Rolle in einem Film von Asia Argento spielen. Mehr darf ich dazu nicht verraten.
Sie haben zahlreiche Celebrities fotografiert. Gibt es welche, die ganz anders sind, als sie die Gesellschaft wahrnimmt?
Ich denke, wir sind alle anders, als uns die Gesellschaft wahrnimmt. Beim Shooting mit Keith Richards erwartete ich eigentlich einen bösen Rocker. In Wirklichkeit ist er einer der nettesten Menschen, denen ich in meinem Leben je begegnet bin. Ich war erst 25 und sehr nervös am Set. Er kam auf mich zu und sagte: «Mach, was du willst. Ich habe drei Stunden Zeit.» Das hätte ich nie erwartet. Diese Begegnung mit Keith Richards war für meine Karriere als Fotograf ausschlaggebend. Die Fotos gingen um die Welt.
Das Schwarzweiss-Foto der Hände von Keith Richards hat mich sehr beeindruckt. Es erzählt eine Lebensgeschichte.
Ein Art Director, der für mich wie ein Mentor ist, sagte über dieses Foto: «Das wirst du vielleicht nie übertreffen.» Ich weiss, dass dieses Foto wahrscheinlich das ikonenhafteste meiner Karriere sein wird - auch wenn ich noch 30 Jahre lang als Fotograf arbeiten werde. Aber damit kann ich leben.
Francesco Carrozzini im Werbespot «Eau de Nuit» von Giorgio Armani (Video: YouTube, Giorgio Armani)
Francesco Carrozzini kommentiert seine 2011 in Moskau ausgestellten Bilder, ab 00:25 (Video: YouTube, primetimeru)
Francesco Carrozzinis Werbespot für Fiat (Video: YouTube, Fiat)
Francesco Carrozzini fotografiert Emily Blunt für «Vogue Italia» (Video: YouTube, Vogue Italia)
Francesco Carrozzinis Video von Marion Cotillard für «The New York Times» (Video: YouTube, The New York Times)
Francesco Carrozzini
Francesco Carrozzini wurde 1982 in Italien geboren. Er ist der einzige Sohn von Franca Sozzani, Chefredaktorin von «Vogue Italia», «LUomo Vogue» und «Vogue Gioiello». Nach der Matura studierte er Philosophie in Mailand, ohne jedoch sein Studium mit der Lizarbeit abzuschliessen.
Heute gehört Francesco Carrozzini zu den bekanntesten Jungfotografen im Bereich Fashion, Werbung und Celebrities. Seine Editorials sind u. a. in «Vogue Italia», «LUomo Vogue», «Vanity Fair», «Rolling Stone», «W», «New York Magazine» und «The New Yorker» erschienen. Er hat auch Musikvideos und Werbespots (u. a. für Ray-Ban, Tommy Hilfiger, Fiat 500 Gucci) gedreht. Seit 2004 lebt und arbeitet Francesco Carrozzini in New York.
Im Juni 2013 hat er anlässlich der Volvo Art Session in Zürich renommierte Street-Art-Künstler im Bahnhof Zürich fotografiert. Seine besten Fotos dieses Events erscheinen im Herbst in einem Bildband.