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Sexualkunde an der Schule«Ab der 6. Klasse gehören Pornos in den Unterricht»

Jugendlichen unter 16 Jahren dürfen keine Pornos gezeigt werden. Dabei wäre es wichtig, diese Form der sexuellen Darstellung in der Schule zu behandeln, sagt Sexualpädagoge Bruno Wermuth.

Lukas Mäder
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Lukas Mäder
Da Kinder und Jugendliche sowieso mit pornografischen Darstellungen konfrontiert sind, sollen diese auch im Schulunterricht behandelt werden. (Bild: Colourbox)

Da Kinder und Jugendliche sowieso mit pornografischen Darstellungen konfrontiert sind, sollen diese auch im Schulunterricht behandelt werden. (Bild: Colourbox)

Das Thema Pornografie an Schulen ist heikel und sorgt rasch für Empörung. Warum?

Weil es das problematische Thema der Pornografie mit Kindern in Zusammenhang bringt. Diese Kombination lässt die Emotionen rasch hochgehen.

Zu Unrecht?

Auf einer emotionalen Ebene ist es verständlich. Bei genauerem Hinschauen zeigt sich jedoch, dass der Kontakt von Jugendlichen mit Pornografie eine Realität ist. So haben am Ende der obligatorischen Schulzeit über 90 Prozent der Buben und über 50 Prozent der Mädchen bereits mit Pornografie Kontakt gehabt.

Und deswegen muss in der Schule Pornografie gezeigt werden? Das ist konkret schwer vorstellbar.

Es geht überhaupt nicht darum, im Unterricht beliebige pornografische Darstellungen in voller Länge zu zeigen, sondern um einen konstruktiven Umgang mit dem Fakt, dass Jugendliche sowieso mit Pornografie in Kontakt kommen. Die Jugendlichen sollen lernen, mit pornografischen Darstellungen kompetent umzugehen.

Konkret?

Jugendliche sollen den Nutzen und Schaden von Pornografie erkennen können. Sie sollten einschätzen können, welche möglicherweise negative Wirkung die Veröffentlichung von eigenen sexuellen Bildern in den neuen Medien hat. Und sie sollen lernen, für den eigenen Bedarf das Richtige zu finden, um nicht auf einer Webseite zu landen, die potenziell schädliche Darstellungen enthält.

Eine Anleitung zum richtigen Porno-Konsum?

Es geht nicht darum, Jugendliche an Pornografie heranzuführen. Sie sollen sexuelle Darstellungen realistisch einschätzen können, wenn sie mit ihnen in Kontakt kommen – was heute sehr wahrscheinlich ist. Viele Jugendliche haben nach dem Konsum von pornografischen Darstellungen Fragen, die sie nicht im Kollegenkreis klären können. Damit werden sie alleine gelassen. Die Empörung bei den Erwachsenen über den Pornokonsum der Jugend ist gross, aber sie sind nicht bereit, selber Wissen im Umgang damit zu erwerben. Deshalb sollten sich auch Lehrer und Eltern Pornografiekompetenz erarbeiten.

Gehört Sexualunterricht tatsächlich zu den Aufgaben von Primar- und Sekundarlehrern?

Die Schule hat die Aufgabe, Kinder und Jugendliche in grundlegenden Themen zu bilden. Dazu gehört auch die Sexualität als urmenschliches Thema.

Aber verstehen Sie, dass sich die Lehrer nicht über eine solche zusätzliche Aufgabe freuen?

Ja, sicher. Die Lehrer werden ja auch nicht auf Sexualerziehung vorbereitet. Dass sie, aber auch die Eltern und Schüler, Scham empfinden, ist verständlich. Deshalb kann es sinnvoll sein, für spezifische Themen wie Pornografie oder sexuelle Praktiken Fachleute beizuziehen.

Es gibt Bedenken, dass die Schüler vom Sexualunterricht überfordert wären.

Das muss man ernst nehmen. Deshalb ist wichtig zu beachten, in welchem Alter, in welcher Umgebung und in welcher Art über Sexualität gesprochen wird oder sexuelle Darstellungen gezeigt werden. Die Schüler müssen zudem selbst bestimmen können, wie weit sie gehen und was sie sehen wollen. Das Problem ist, dass es heute gesetzlich grundsätzlich verboten ist, Jugendlichen Pornografie zu zeigen.

Nur den Unter-16-Jährigen.

Dann ist die obligatorische Schulzeit zu Ende und die Jugendlichen hatten bereits Kontakt mit Pornografie. Der Unterricht müsste begleitend zu den ersten Kontakten mit sexuellen Darstellungen stattfinden, also etwa ab der sechsten Klasse.

Ab 12 Jahren braucht es in der Schule Sexualunterricht?

Sexualunterricht braucht es natürlich bereits früher. Aber ab 12 Jahren muss in diesem Rahmen Pornografie behandelt werden.

Aber nicht alle Schüler hatten bereits mit 12 Jahren Kontakt mit Pornografie. Muss dem unterschiedlichen Entwicklungsstand nicht Rechnung getragen werden?

In einem gewissen Mass. Aber die Schule fragt ja nicht in jedem Fach, wie hoch die Kompetenz und der Bedarf bei diesem bestimmten Thema ist. Zur Sexualität allgemein gibt es gewisse Informationen, die nötig sind und niemandem schaden. Im Umgang mit expliziten Darstellungen von Sexualität müssen zuerst Unterrichtsmaterialien erarbeitet werden, was derzeit wegen der juristischen Lage gar nicht möglich ist. Deshalb braucht es eine Gesetzesänderung. Es kann doch nicht sein, dass Jugendliche problemlos an Pornos gelangen können, eine angemessene Prävention zum Thema aber verboten ist.

In die entgegengesetzte Richtung geht eine Volksinitiative, die den Sexualunterricht in der Schule grundsätzlich verbieten will. Was ist falsch daran, wenn die Eltern ihre Kinder aufklären?

Gar nichts. Das ist wichtig und notwendig. Problematisch ist es, so zu tun, als ob die Eltern die einzige Instanz bei diesem Thema wären. Die Kinder sind nicht Eigentum der Eltern. Diese können letztlich nicht verhindern, dass ihre Kinder mit Formen von Sexualität in Kontakt kommen, die sie nicht praktizieren oder aus moralischen Gründen ablehnen. Die Jugendlichen haben das Recht, umfassend über Sexualität informiert zu werden und selber darüber zu entscheiden.

Derzeit läuft die Unterschriftensammlung. Wie gross schätzen Sie die Chancen der Initiative beim Stimmvolk ein?

Die Initiative zeigt, dass Sexualität immer noch ein grosses Tabu ist, obwohl sie omnipräsent ist. Die Mehrheit der Bevölkerung ist aber in der Lage, das Thema richtig einzuordnen und den Bedarf an altersgerechter Sexualerziehung zu erkennen. Deshalb gehe ich von einem Nein zur Initiative aus.

Bruno Wermuth ist Sexualberater und Sexualpädagoge mit eigener Praxis in Bern. Als «Doktor Sex» beantwortet er die Fragen der Leser von 20 Minuten.

Eltern und Lehrer sollen Pornos zeigen dürfen

Jugendlichen unter 16 Jahren Pornografie zu zeigen, ist heute gemäss Strafgesetzbuch verboten - selbst für die eigenen Eltern. Der Dachverband der Männer- und Väterorganisationen Männer.ch will dies ändern. In einer Stellungnahme vom Oktober 2011 zuhanden des Bundes fordert er, dass sich Eltern und geschulte Fachleute mit klarem pädagogischen Ziel nicht strafbar machen, wie die «NZZ am Sonntag» berichtete. SVP-Politiker finden an der Idee von Pornos in der Schule keinen Gefallen. Männer.ch betont, in der Stellungnahme nicht das Zeigen von Pornos an den Schulen gefordert zu haben. (mdr)

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