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Doktor Sex«Warum sind Menschen so egoistisch?»

Für Alina ist es unverständlich, dass in Beziehungen vom Partner so viel erwartet wird. Für sie bedeutet Liebe loslassen.

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Der Partner oder die Partnerin sollte nie Mittel zum eigenen Zweck sein. (Szene aus «My Super Ex Girlfriend» / Bild: Twentieth Century Fox)

Der Partner oder die Partnerin sollte nie Mittel zum eigenen Zweck sein. (Szene aus «My Super Ex Girlfriend» / Bild: Twentieth Century Fox)

Frage von Alina (33) an Doktor Sex: Ich frage mich immer wieder, weshalb die meisten Menschen ein so engstirniges Bild von Liebe und Beziehung haben und sich dermassen von ihren egoistischen Vorstellungen leiten lassen. Hat der Partner eine Fantasie mit jemand anderem, bedeutet das für viele schon den Weltuntergang.

Ich finde, es wird von Beziehungen so viel erwartet, was niemand mehr wirklich erfüllen kann. Aber für mich gibt wahre Liebe einen Menschen frei und verlangt nichts – für mich stehen die Bedürfnisse meines Partners im Vordergrund und nicht meine eigenen. Sonst macht alles irgendwie keinen Sinn.

Die Gemeinschaft von zwei sich liebenden Menschen wird doch viel erfüllender, wenn man von Herzen einfach gibt, statt vor allem darauf bedacht zu sein, etwas vom Partner oder der Partnerin zu erhalten – ja es sogar zu erwarten. Wie denkst du darüber? Und hast du eine Idee, was Menschen antreibt, sich so egoistisch zu verhalten?

Antwort von Doktor Sex

Liebe Alina

Ich denke, dass die meisten Menschen hohe Erwartungen an ihre Beziehungen haben und diese wie einen Gegenstand behandeln. Ihr Anliegen ist nicht die Gemeinschaft an sich – der Wunsch, in gegenseitigem Respekt gemeinsam mit einem Menschen ein Stück Weg zu gehen, sich aber bewusst zu sein, dass man verschieden ist. Es geht ihnen primär um sich selbst.

Nicht nur sollte der Partner oder die Partnerin die eigenen Sehnsüchte erfüllen. Es wird auch kontinuierlich und bestimmt versucht, dem Gegenüber das persönliche Beziehungskonzept aufzuzwingen. Und dann sollte es einen auch noch tatkräftig in der eigenen Entwicklung unterstützen, gleichzeitig aber grosszügig über Schwächen und Neurosen hinwegsehen.

Kein Wunder, dass da die Liebe füreinander auf der Strecke bleibt – vorausgesetzt, dass es sie denn überhaupt je gegeben hat und das «gemeinsame Projekt» nicht einfach von Anfang nur egoistisch motiviert war. Genauso, wie auch das Verständnis für die Individualität des oder der Anderen und die zwangsläufig unterschiedlichen Bedürfnisse, die daraus entstehen.

Der Antrieb, sich einander gegenüber derart besitzergreifend zu verhalten, hängt damit zusammen, dass die meisten Menschen in ihrer Kindheit und Jugend nicht lernen, wie man mit einem anderen Menschen achtsam umgeht. Vom ersten Tag an erleben sie, dass in dieser Welt das Prinzip des Stärkeren gilt und Macht mehr zählt als Nächstenliebe und Toleranz.

Auch wenn es ein schmerzlicher Prozess ist, erkennen früher oder später aber einige Menschen, dass der Partner oder die Partnerin nie Mittel zum eigenen Zweck sein darf und die Beziehung ein Lernprozess ist. Sie merken, dass es ein grösseres Glück gibt, als materiellen Gütern nachzujagen: Nämlich frei zu sein davon und von Herzen für das Wohlergehen anderer zu leben!

Wie der Synthesebericht des Nationalfonds-Projekts 67 «Das Lebensende als gesellschaftliche Herausforderung» unter anderem zeigt, erkennen manche Menschen erst angesichts des Todes, dass sie zu wenig Zeit aufgewendet haben für das, was ihnen am Herzen liegt. Für uns, die wir noch zu leben haben, könnte das eine Einladung dazu sein, unsere Prioritäten zu überdenken. Alles Gute!

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