Die verbotenste Zeitschrift Deutschlands

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30 Jahre «Titanic»Die verbotenste Zeitschrift Deutschlands

Die «Titanic», quasi die Erfinderin der christlichen Mohammed-Karikatur, feiert ihren 30. Geburtstag. Grund genug für einen Rückblick auf Eklats, Skandälchen und Prozesse einer Institution, bei der noch immer die Verlagsanwältin die Artikel abnimmt.

Philipp Dahm
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Philipp Dahm

Als 1979 die fünf Redaktoren F.K. Waechter, Chlodwig Poth, Hans Traxler, Robert Gernhardt und Peter Knorr ihrem Ex-Arbeitgeber, dem Satire-Blatt «Pardon», den Rücken kehrten, um ihr eigenes Ding zu machen, wollten sie ihr neues Heft eigentlich «Die Sonne» nennen. Nicht nur in Anlehnung an das britische Massenblatt «The Sun»: «Eigentlich nur deshalb, weil es da so schöne Rubriken gab», erinnert sich Peter Knorr im ARD-Magazin «titel, thesen, temperamente». «'Sonne Scheisse', 'Sonne Flecken' und so etwas. Wir hatten uns von diesen Rubriken verführen lassen. Gott sei Dank war dieser Titel bereits geschützt.»

Rund 55 Gerichtsverfahren und 35 verbotene Ausgaben später ist «Titanic» der Alleinherrscher der deutschsprachigen Ironie-Szene und älter als sein aktueller Chefredaktor Leo Fischer, der im Juli 2009 28 Jahre alt geworden ist. Sein Vorgänger Martin Sonneborn meinte zu den Klagen gegen die «vebotenste Zeitschrift Deutschlands» («brand eins») lakonisch: «Eigentlich finden alle Satire gut, nur wenn sie selbst betroffen sind, dann nicht.» Seit seiner Gründung reizt das Heft die Etablierten und die Geschmacksgrenzen aus.

Der Kampf mit der katholischen Kirche

Spätestens 1991, im zarten Alter von zwölf Jahren, hatte sich die junge «Titanic» mit Johannes Dyba einen hartnäckigen Hardliner zum Feind gemacht. Der Erzbischof von Fulda («Homosexualität ist eine Degeneration») klagte gegen das Magazin wegen eines gezeichneten Bildes von ihm, das mit «Klasse! Das sind ja ganz seltene Fötusfotos!» unterschrieben ist. Der damalige hessische Ministerpräsident Holger Börner kommentiert in dem Cartoon die Szene: «Und jetzt soll ich Dir wohl auch noch eine Erektion verschreiben, Kinderschänder!»

Anfangs bekam der Kirchenmann Recht, doch das Frankfurter Landgericht kassierte das Urteil der Vorinstanz: Dybas «extreme Äusserungen» in Sachen Schwangerschaftsabbruch müssten mit dem Beitrag in Zusammenhang gesehen werden und würden deshalb keine «Schmähkritik» erkennen lassen, so die Richter. Das Kind war jedoch in den Tauf-Brunnen gefallen, wie die Klage gegen die «Titanic»-Ausgabe vom März 1997 zeigt.

«Heute schon Abt gerieben?»

Dort deutete ein Priester in einem Cartoon auf einen Messdiener und sagt: «Na, mein Sohn? Heute schon Abt gerieben?» Dyba beschwerte sich nicht wegen etwaiger Ähnlichkeit zu den gemalten Figuren, sondern weil er im Impressum ironisch als Erschaffer des Cartoons genannt wurde. Chefredaktor Oliver Schmitt nahm die Sache mit Humor, bot laut «Spiegel» gemäss seinen «christlichen Grundwerten» Vergebung an und erbat sich eine « eine Privataudienz mit prima Messwein».

Dyba scheiterte mit seiner Beleidigungsklage. Genauso wie eine von drei Klagen wegen Religionsbeschimpfung. Bekanntestes Beispiel ist der gekreuzigte Jesus als Klo-Rolle, den ein «Titanic»-Titel 1995 zeigte (siehe obige Bildstrecke). Vier Anzeigen gingen wegen Beleidigung des Papstes ein.

Klagen von Promis und Unternehmen

Neben der Geistlichen Gewalt hatte die «Titanic» auch jede Menge Ärger mit Privatpersonen. Sängerin Evelyn Künneke wehrte sich vergebens gegen die Bezeichnung «kulturindustrielle Sondermülltonne». Benjamin von Stuckrad-Barre beanspruchte das Gericht wegen einer Fotomontage des ähnlich aussehenden US-Attentäters Tomthy McVeigh, unter der stand, die Lesungen des Autors seien abgesagt. «Focus»Chefredaktor Helmut Markwort forderte vor Gericht Schmerzensgeld wegen eines Cartoons, der seine Vergangenheit als Softporno-Darsteller mit dem Werbespruch seines Magazins verbindet – und ging leer aus.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz liess ein Verbot eines Spitznamens durchsetzen, der das weibliche Geschlechtsorgan des Hundes mit der Kurzform seines Vornamens verbindet. McDonald's wehrte sich gegen von «Titanic» entsandte Pressemitteilungen («Happy Jew Burger») und Ferrero bereits 1983 gegen vermeintliche Anzeigen («Für eine Vollmilch von Ferrero, Herr Pfarrer, lass ich mich gerne bürsten»).

Der Fall Engholm und der «WM-Skandal»

Knapp wurde es im Fall Björn Engholm. Die «Titanic» veröffentlichte ein Foto, auf dem der Kopf des SPD-Politikers auf das Bild seines tot in der Wanne liegenden politischen CDU-Widersachers Uwe Barschel (starb 1987 in Genf) montiert war. Darunter der Satz: «Sehr witzig, Herr Engholm!» Der amtliche Fehltritt hat laut Ex-Chefreadktor Thomas Gsella «rund 190.000 Mark» gekostet: «Da waren wir nahe an der Pleite», gestand er gegenüber «faz.net». Und: «Man weiss nie, wie teuer es wird.»

Als Coup entpuppte sich dagegen der «WM-Skandal»: Als der Austragungsort der Fussball-WM anstand, «schmierte» das Satire-Magazin die abstimmenden FIFA-Mitglieder mit einem Zettel: «Wenn Sie für Deutschland stimmen, gehört ihnen ein Fresskorb mit deutschen Würsten und Kuckucksuhr.» Als ein Delegierter durchblicken liess, tatsächlich von dem Schrieb beeinflusst worden zu sein, war das Geschrei gross.

Die «Bild»-Zeitung veröffentlichte gar die Redaktionsnummer der «Titanic» und forderte seine Leser auf, den Autoren die Meinung über ihre schändliche Tat zu sagen. Nonchalant drehte der damalige Chefredaktor Martin Sonneborn den Spiess um, veröffentlichte die peinlichen Anrufe (siehe/höre Audio) und genoss die Aufmerksamkeit. «Ein schöner Erfolg für so ein kleines Satiremagazin wie 'Titanic'», sagte er nach der WM-Vergabe der ARD. Warum er dennoch eine Unterlassungsklage des DFB unterzeichnete? «Kein Problem, gute Witze macht man nicht zweimal», begründete er bei «brand eins».

«Birne» und «Genschman» kennt der Neue nur aus Geschichtsbüchern

Als die «Titanic» Begriffe wie «Birne» und «Genschman» prägte, lag der heutige Jung-Chef noch in den Windeln. Doch jene gefühlten Äonen Regierung Kohl waren letztendlich ein Glücksfall für das Magazin, wie ein Zitat von Mitgründer Oliver Schmitt zeigt: «Wir wollten von Anfang an einen eigenen Mann in Bonn, den wir benutzen konnten. Wir haben also Helmut Kohl dort installiert und 1983 an die Macht gebracht. Er hat sehr produktiv mit uns zusammengearbeitet. Er war auf mehr als 80 Titelblättern. Es hat sich herausgestellt, dass Kohl einfach immer komisch ist.»

Der jetzige Boss ist 28, hat in Berlin und Lausanne Literaturwissenschaft, Philosophie und Publizistik studiert und ist seit Oktober 2008 im Amt. Auf die Frage, wie er es nach einem Jahr als Praktikant so weit gebracht hat, antwortete er dem Berliner «Tagesspiegel»: «Natürlich über Beziehungen. Schleimen, schleimen, schleimen. Und bei den richtigen Leuten ein nettes Wort sprechen. Tatsächlich sah es so aus, dass es fast niemand anders machen wollte. Dann trifft es eben das schwächste Glied in der Redaktion. In unserer Hierarchie steht der Chefredaktor eh' ganz unten, verrichtet niedrigste Arbeiten.»

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