«Austherapiert? Ein furchtbarer Begriff»

Aktualisiert

Suizid-Doku«Austherapiert? Ein furchtbarer Begriff»

Die SF-Dokumentation «Tod nach Plan» über den geplanten Selbstmord von André R. sorgte im Vorfeld für eine Kontroverse. Gestern Abend wurde sie gesendet. Eine Nachbetrachtung.

von
Runa Reinecke

Ein Mann in dunklem Anzug spricht vor einer Trauergemeinde. Zusammen mit anderen Anwesenden nimmt er Abschied von einem Mann, der vor wenigen Tagen freiwillig gegangen ist, für immer.

«Warum, André, warum hast du dir das Leben genommen? Wir, deine Freunde, bleiben zurück und haben Fragen.» Fragen, mit denen am Donnerstagabend auch zahlreiche Fernsehzuschauer zurückgelassen wurden, nachdem sie auf SF 1 die Dokumentation «Tod nach Plan: André psychisch krank und lebensmüde» gesehen hatten. Der TV-Film aus der Reihe «DOK» wurde bereits im Vorfeld kontrovers diskutiert. Muss man einen Mann nicht vor sich selbst schützen, der sich aufgrund eines langjährigen psychischen Leidens dazu entschliesst, aus dem Leben zu scheiden? Darf ein solcher Entschluss medial begleitet und im TV ausgestrahlt werden?

Wechselbad zwischen Euphorie und Depression

Ein Medien-Leitfaden der Initiative zur Prävention von Suizid in der Schweiz, IPSILON, rät unter anderem, dass man in einer Suizidberichterstattung auf die Nennung des Namens und das Zeigen von Bildern der betreffenden Person verzichten sollte. Dieser Empfehlung konnte der Autor des Films, Hanspeter Bäni, mit seinem intimen Porträt über den Suizid von André R. nicht nachkommen. Bei einer TV-Dokumentation ist das auch kaum realisierbar. Mit seinem Film rüttelt Bäni an einem Tabu und zeigt, wie der ehemalige Arzt seine letzten Tage vor dem offenkundig selbst gewählten Tod verbringt.

Bäni besucht den 56-Jährigen in der Wohnung, die er mit einer guten Freundin teilt. Er unterhält sich mit André R. über dessen Leben und die beruflichen Erfolge, die lange zurückliegen. Damals war alles noch gut, doch dann wurde er krank. Es begann vor mehr als 20 Jahren. Seither war der IV-Rentner manisch-depressiv, befand sich in einem Wechselbad von euphorischen und depressiven Phasen. Auf dem Küchentisch türmen sich verschiedenste Medikamente, die er täglich einnimmt.

«... ein Arzt, der sich in seinen Möglichkeiten aufgibt.»

Ein letztes Mal trifft André R. seine Freunde. Sie nehmen Abschied – einige resignieren, wirken gefasst, andere weinen. «Klar, es ist traurig», gibt André R. zu.

Der geplante Tod, den er mit Hilfe einer Sterbebegleitung durch Exit durchführen will, habe diverse bürokratische Instanzen durchlaufen, darunter eine Exit-eigene Ethikkommission, heisst es in der Dokumentation. Zum Prozedere gehörte auch, dass zwei der mit der Sterbebegleitungsorganisation zusammenarbeitende Psychiater Gutachten über André R. anfertigten und seinen Freitod genehmigten.

Für Wulf Rössler, Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich, ist das nicht nachvollziehbar: «Im Gutachten steht, dass André R. austherapiert sei. Austherapiert? So ein furchtbarer Begriff! Das heisst nichts anderes, als dass sich ein Arzt in seinen Möglichkeiten aufgibt», sagt er im Film. Bei chronischen Erkrankungen gebe es immer einen Rahmen, in dem man handeln könne. Er ist sich sicher: «Ein anderer Psychiater wäre zu einem anderen Schluss gekommen.»

Der Hoffnungsschimmer fehlt

Fachleute, die verzweifelten, vielleicht sogar suizidalen Zuschauern neuen Mut machen könnten, bekommen in «Tod nach Plan: André psychisch krank und lebensmüde» zu wenig Raum. Dies, obwohl es in der Schweiz zahlreiche Beratungsangebote gibt, die psychisch Kranken, aber auch anderen Menschen in Krisensituationen nicht nur kurz-, sondern auch langfristig weiterhelfen können (siehe Info-Box).

Die Hoffnung stirbt zuletzt – eine Botschaft, die der Film über den Weg in den Suizid eines psychisch kranken Mannes nicht transportierte.

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