MedienskandalRichter enttarnt den «Stig»
Jahrelang testete der «Stig» für die Autosendung «Top Gear» exotische Sportwagen. Doch seine Identität blieb geheim. Das ändert sich nun. Mit tatkräftiger Hilfe eines Londoner Richters.

Das Geheimnis, das keines mehr ist: Hinter dem mysteriösen Testfahrer von «Top Gear» steckt der englische Rennfahrer Ben Collins.
Seine Identität war fast so geheim wie die Coca-Cola-Formel. Sieben Jahre lang rätselte in Grossbritannien Jung und Alt, wer sich hinter «The Stig», dem weiss behelmten Testfahrer der BBC-Autosendung «Top Gear» verbirgt. Kein Wunder, dass der Stig, der das verspiegelte Visier seines Helmes niemals hob, Kultstatus erreichte. Und die Macher des Programms wussten gekonnt mit dem Geheimnis zu spielen. Unzählige Male wurde angekündigt, dass der Stig nun endgültig demaskiert werde. Und immer wieder wurden die Zuschauer in letzter Sekunde vertröstet.
Sogar als der Stig seinen Helm zum ersten Mal vor laufenden Kameras abnahm, waren sie nachher so schlau wie zuvor. Denn unter dem Helm kam kein Geringerer als der siebenfache Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher hervor. Und der hatte kaum einen Nebenjob als Testfahrer für eine britischen TV-Sendung nötig. Der Stig blieb ein Mysterium. Sieben Jahre lang. Bis jetzt.
Nun lässt ausgerechnet dieser Testfahrer mit Hilfe eines Buchverlags und eines Londoner Gerichts die Bombe platzen. Ben Collins, ein leidlich erfolgreicher Rennfahrer und James-Bond-Stuntman, veröffentlicht am 16. September seine Autobiographie mit dem Titel «The Man in the White Suit» («Der Mann im weissen Anzug»). Darin wird die Identität des Stig offiziell gelüftet. Zehntausende Fans auf der ganzen Welt werden endlich erfahren, was für ein Mensch dieser Stig ist. Im Hinblick auf das anstehende Weihnachtsgeschäft dürfte das Buch zu einem Bombengeschäft für den 35-jährigen Rennfahrer aus Bristol und den HarperCollins-Verlag aus New York werden.
Geldmaschine der BBC
Das weiss auch die BBC, die Macherin von «Top Gear». Und ihr passt die Enthüllung ihres bestgehüteten Geheimnisses absolut nicht in den Kram. So wenig, dass sie bis vor den Londoner High Court ging, um die Publikation der Autobiographie von Ben Collins gerichtlich zu verhindern. Denn für die BBC geht es um viel. «Top Gear», die etwas andere Autosendung, hat sich für die gebührenfinanzierte britische Rundfunkanstalt zur Geldmaschine entwickelt. Jede Sendung verfolgen weltweit gegen 350 Millionen Menschen vor den Bildschirmen. BBC Worlwide, die «Top Gear» und andere BBC-Erzeugnisse weltweit vermarktet, hat im letzten Jahr einen Vorsteuergewinn von 145 Millionen Pfund (225 Millionen Franken) erwirtschaftet. Geld, das dringend gebraucht wird, muss doch im schuldengeplagten Grossbritannien auch die BBC zurzeit den Gürtel empfindlich enger schnallen. Da schmerzt es umso mehr, wenn ein Buchverlag, der obendrein dem Medienmogul und BBC-Konkurrenten Rupert Murdoch gehört, mit einer BBC-Idee das grosse Geschäft macht.
Doch vor Gericht war die ganze Kunst der BBC-Anwälte umsonst. Der Richter wertete die Tatsache, dass Ben Collins in seinem Vertrag mit «Top Gear» eine Vertraulichkeitsklausel unterzeichnet hatte, geringer, als das Beharren der HarperCollins-Anwälte auf dem Recht auf freie Meinungsäusserung. Er hat am Mittwoch entschieden, dass das Buch wie geplant in den Verkauf gehen darf. In Grossbritannien hat das Urteil gegen die BBC und der ganze Streit um die Identität des Stig für ein riesiges Medienecho gesorgt. Erstaunlich eigentlich, wenn man bedenkt, dass die «Sunday Times», auch ein Murdoch-Titel, bereits am 22. August zweifelsfrei bewiesen hat, dass Ben Collins der Mann hinter der Figur des Stig ist.