«Die Regierung hatte Angst vor den Hooligans»

Aktualisiert

Nach Krawallen«Die Regierung hatte Angst vor den Hooligans»

Was steckt hinter den üblen Ausschreitungen serbischer Hooligans? Balkan-Experte Norbert Mappes-Niediek über die Hintergründe.

Amir Mustedanagic
von
Amir Mustedanagic

Das EM-Qualifikationsspiel zwischen Italien und Serbien in Genua nahm ein übles Ende: 300 gewaltbereite serbische Chaoten bewarfen unter dem Kommando von «Ivan dem Schrecklichen» Spieler und Spielfeld mit Leuchtkörpern. Sie erzwangen einen Spielabbruch und lieferten sich anschliessend eine hässliche Strassenschlacht mit der italienischen Polizei (siehe Bildstrecke). Die Hintergründe der massiven Ausschreitungen sind noch unklar: Spekulationen im geschockten Serbien reichten von der Mafia bis zu EU-Gegnern als Drahtzieher. Wie Südosteuropa-Korrespondent und Autor Norbert Mappes-Niediek im Interview mit 20 Minuten Online erklärt, ist das Problem vielschichtig und tief verwurzelt in der Hooliganszene.

20 Minuten Online: Herr Mappes-Niediek, nach den Ausschreitungen in Genua stellt sich die Frage, was hinter der Randale steckt: Sind das nur hirnlose Chaoten oder haben sie auch politische Motive?

Norbert Mappes-Niediek: Die Übergänge zwischen Fankultur, Rechtsradikalismus und auch Kriminalität sind in Serbien fliessend. Die Hooligan-Szene ist – wie eigentlich überall auf der Welt – tendenziell rechtsradikal, machistisch, minderheiten- und ausländerfeindlich. Aber gerade in Serbien sind diese Gesinnungen in der Szene deutlicher politisch ausgeprägt.

Wieso?

Das hat eine lange Tradition. Im ehemaligen Jugoslawien konnten nationale Eitelkeiten nicht in der Politik oder in der Gesellschaft ausgelebt werden, weil das tabuisiert beziehungsweise verboten war. Weshalb nationale Empfindlichkeiten auf Fussballsteams verschoben wurden: Spielte Roter Stern Belgrad gegen Dinamo Zagreb, war das ein Spiel Serbien gegen Kroatien. Es war ein Kampf der Nationen auf dem Rasen sozusagen. Die Fans behaupten, der Krieg habe am 13. Mai 1990 im Zagreber Stadion Maximir mit dem Fussballspiel Roter Stern gegen Dinamo begonnen. Sie sehen sich als nationale Erweckungsbewegung – die serbischen Fans ebenso wie die kroatischen.

Es ist also nicht abwegig, dass die Chaoten den Beitritt Serbiens in die EU zu sabotieren versuchen, wie dass die Regierung behauptet?

Die Ausschreitungen haben einen politischen Aspekt, er ist aber nicht mehr der dominierende Antrieb. Der Einfluss der Hooligans in der Politik hat genauso abgenommen wie der Wunsch der Politik, die Hooligans zu benützen. Man hat seine politische Rolle verloren, also macht man Krawall. Die Ausschreitungen in Genua und an der Gay Parade in Belgrad waren ein Zeichen der Schwäche dieser Szene.

Ivan Bogdanov und seine Mannen von den Ultras von Roter Stern Belgrad haben in Genua alles andere als schwach gewirkt.

Ich kenne diesen Bogdanov nicht. Gerade die Fangruppierungen rund um Roter Stern Belgrad haben aber in der Vergangenheit eine spezielle Rolle eingenommen: Unter dem Regime von Slobodan Milosevic waren die Hooligans von Roter Stern Belgrad die Männer fürs Grobe. Für die ethnischen Säuberungen in Kroatien beispielsweise brauchte er Leute, die brutal waren und keine Skrupel hatten. Unter dem damaligen Vorsitzenden der Roter Stern-Fans Zeljko Raznjatovic – besser bekannt als Arkan und als Kriegsverbrecher – agierten die Hooligans als Freischärlerbanden. Sie sahen sich in diesem Zusammenhang als Vorkämpfer der Nation, genossen grossen Respekt in der Gesellschaft und auch Rückhalt in politischen Kreisen. Nun hat eine Demokratisierung in Serbien stattgefunden und prowestliche Strömungen sind an die Macht gekommen. Den radikalen Gruppierungen fehlt der politische Rückhalt.

Die Regierung scheint die Lage aber alles andere als im Griff zu haben: Im vergangenen Jahr sind Hunderte von Strafanzeigen einfach versandet und die Ultra-Szene wütet weiter.

Eine «Zero Tolerance»-Strategie der Polizei war aufgrund des politischen Rückhaltes für die Szene bisher nicht möglich. Sie ging deshalb sehr, sehr vorsichtig mit diesen Gruppierungen um. Die Regierung hatte regelrecht Angst vor dieser Szene. Nun haben sich aber auch radikale Vertreter wie Tomislav Nikolic von der Ultra-Szene abgewendet und wollen nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Das beste Beispiel ist, dass die Gay Parade überhaupt durchgeführt wurde.

Wieso?

Die Gay Parade fand 2001 das erste Mal statt. Damals stürmten ebenfalls «Fussballfans» die Demonstrationen und randalierten. In der Folge wurde die Parade nicht mehr abgehalten - bis zu diesem Jahr. Nun hat sich Polizeiminister Ivica Dacic höchstpersönlich dafür eingesetzt. Dass sich ausgerechnet Dacic – der Sprecher von Slobodan Milosevic war – in die gemässigte Politik abgeseilt hat, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Zeiten sich unwiderruflich geändert haben.

Die Angriffe sind also ein letzter Versuch der Hooligan-Szene Macht zu demonstrieren?

Die Szene ahnt, dass sie ihren Einfluss und ihre Macht langsam verliert. Die Mafia hat die Szene seit 2003 weitgehend fallengelassen. Die Reichen und Mächtigen des organisierten Verbrechens versuchen Frieden mit der Regierung zu schliessen. Sie nehmen keinen Einfluss mehr auf die Politik, sondern sind in die Wirtschaft abgewandert. Die Hooligans verlieren nach den Verbündeten im Untergrund nun also je länger, desto mehr auch die politischen. Deshalb bäumen sie sich nun ein letztes Mal auf und besetzen vorpolitische Events wie die Gay Parade. Gerade mit Dacic haben sie aber ein Hühnchen zu rupfen, weil er sie ja ihm Stich liess. Sie sind in der Defensive und greifen deswegen nun alles an, was sie können. Sie haben für die Gay Parade enorm mobilisiert und sorgen dafür, dass es nicht so einfach abklingt.

Die Hooligans werden also wieder zuschlagen?

Sie werden versuchen, die angeheizte Stimmung zu nutzen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sie den Level der Erregung auf Dauer halten können. Das heisst nicht, dass die Szene schon ausgetrocknet wäre. Den Hooligans spielt die wirtschaftliche Lage in Serbien in die Hände: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der urbanisierten Bevölkerung fehlt es am Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und erst recht zu Arbeitsplätzen. Die Ultras haben hingegen oft noch Geld aus kriminellen Tätigkeiten, so dass der Nachschub für die radikale Fanszene kaum zu erschöpfen ist.

Wird die Regierung trotzdem durchgreifen, wie sie es nun angekündigt hat?

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es diesen Gruppierungen jetzt an den Kragen geht. Es gibt aus politstrategischer Sicht keinen Grund nicht durchzugreifen. Die Polizei wird die Gelegenheit nutzen und kräftig zuschlagen. Es würde auch der Logik von Dacic entsprechen. Er hat bisher politisch stets klug agiert und genau den Spielraum genützt, den er auch wirklich hatte. Keiner weiss besser als Dacic, mit wem er es da zu tun hat.

Ivan der Schreckliche sagt: «Sorry!»

«Ich entschuldige mich bei Italien und den Italienern. Nie haben wir daran gedacht, Italien einen Schaden zuzufügen», sagte Bogdanov am Donnertag. Italien sei ein sehr schönes Land, das ihm gut gefalle. Er habe nicht damit gerechnet, dass es «politische Probleme mit Italien» geben würde. «Ich erwartete nicht einmal, dass das Spiel abgebrochen würde», sagte er laut italienschen Medien am Morgen seinem Anwalt Gainfranco Pagano, der ihn im Genueser Gefängnis Pontedecimo besuchte. Die Gründe für den «Unsinn, den wir im Stadion gemacht haben», hat Bogdanov am Freitagmorgen dem Richter dargelegt. Er sagte aus, dass es gegen den Serbischen Fussballverband gerichtet gewesen sei. «Der Verband lässt die Spieler von Roter Stern Belgrad einfach nicht für die Nationalmannschaft spielen», so Bogdanov gemäss «B92» vor dem Richter. Seine Anwälte versuchen den mutmasslichen Rädelsführer mit zwei Jahren Haftstrafe maximal und dem Landesverweis herauszuboxen. Geht das Gericht nicht darauf ein, könnte Bogdanov zwischen einem und vier Jahren hinter Gitter kommen. Aufgrund der Schwere seiner Taten in der Nacht der Ausschreitungen soll auch eine höhere Strafe möglich sein, wie es heisst. (rn/amc)

Deine Meinung zählt