Unruhen auf HaitiUS-Armee soll Plünderer in Schach halten
Sechs Tage nach dem verheerenden Erdbeben macht die zunehmende Gesetzlosigkeit Überlebenden und Hilfsorganisationen zu schaffen, vor allem in der Hauptstadt Port-au-Prince. Nun wollen die USA Truppen entsenden - doch es regt sich Unmut.
Die Regierung Haitis hat am Montag den Ausnahmezustand ausgerufen, um gegen chaotische Zustände und Unruhen vorgehen zu können. Der Notstand soll vorerst bis Ende des Monats gelten. Die Regierung in Port-au-Prince bat zudem die USA, für die Sicherheit zu sorgen und beim Wiederaufbau zu helfen.
Dazu sollen nun 3500 US-Soldaten die UNO-Truppe sowie die örtliche Polizei verstärken. Insgesamt wollen die USA über 12 000 Militärangehörige im verwüsteten Land stationieren. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon will die Friedensmission der Vereinten Nationen in Haiti angesichts der Erdbebenkatastrophe mit 1500 Polizisten und 2000 Soldaten aufstocken. Er habe einen entsprechenden Antrag an den UN-Sicherheitsrat gerichtet, sagte Ban am Samstag in New York. Die zusätzlichen Polizisten und Soldaten würden für etwa sechs Monate benötigt. Derzeit befinden sich 7000 UN-Soldaten und 2100 Polizisten in Haiti.
Auch die EU plant die Entsendung von 140 bis 150 Polizisten. Sie sollen dort die UNO-Truppen unterstützen, wie Spaniens Aussenminister Miguel Angel Moratinos am Montag erklärte. UNO- Generalsekretär Ban Ki Moon kündigte zudem eine Aufstockung der Blauhelmtruppen um 1500 Polizisten und 2000 Soldaten an.
Die EU hat zudem 400 Mio. Euro für Haiti bewilligt. Zu dem Paket gehören 137 Mio. Euro kurzfristige Notfallhilfe und bis zu 300 Mio. Euro für den mittel- und langfristigen Bedarf, sagte Entwicklungshilfekommissar Karel de Gucht nach einem Krisentreffen der Aussen- und Entwicklungsminister in Brüssel.
Plünderungen und Schusswechsel
Neben den gewaltigen logistischen und medizinischen Herausforderungen wird die Sicherheit zum grössten Problem in Port-au-Prince. Nach Polizeiangaben liefern sich Plünderer in der Innenstadt Feuergefechte mit der Polizei. Am Wochenende war es bereits zu ersten Lynchmorden gekommen. Das Chaos behindert auch die Verteilung der Hilfsgüter, die inzwischen in grossen Mengen eintreffen. Wegen Staus ist die Lieferung auf dem Landweg über die rund 300 Kilometer lange Strecke vom Nachbarland Dominikanische Republik fast unmöglich.
Auch der Flughafen von Port-au-Prince und die Zugangsstrassen zur Hauptstadt sind nach Angaben des UNO-Koordinationsbüros für humanitäre Hilfe (OCHA) weiter völlig überlastet. Für neue Güter gebe es bis Mittwochmorgen keine Lagermöglichkeiten mehr, teilte OCHA mit.
Die US-Truppen, die inzwischen den Flughafen kontrollieren, scheinen an der Situation nicht ganz unschuldig zu sein. Sie sollen die einzige Piste vor allem für die Evakuierung von US-Bürgern beanspruchen, während Flüge mit Hilfslieferungen auf Nachbarinseln umgeleitet werden. So erhielt etwa eine Maschine mit einem aufblasbaren Spital von «Ärzte ohne Grenzen» keine Landeerlaubnis. Dabei fehlt es vor allem in Port-au-Prince noch immer an sauberem Wasser, Nahrung, medizinischer Ausrüstung und Notunterkünften. Retter im Katastrophengebiet berichten von erschütternden Zuständen. Immer häufiger sind auch die US-Truppen im Kreuzfeuer der Kritik seitens Hilfsorganisationen.
Amputation auf der Strasse
Manchen Verletzten würden zerquetschte Gliedmassen auf offener Strasse amputiert, berichtete etwa ein Mitarbeiter von der Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen». Tausende Kinder irren ohne Betreuung durch die zerstörte Stadt. Frankreich und die Niederlande haben inzwischen damit begonnen, verletzte Kinder auszufliegen.
Die genaue Zahl der Opfer ist weiter unklar, mittlerweile wird aber mit bis zu 200 000 Toten gerechnet. Rund 70 000 Leichen seien bereits geborgen, sagte Ministerpräsident Jean-Max Bellerive dem US-Fernsehsender ABC. Obwohl es Berichte über Gerettete gibt, sinken nach Ansicht von Experten die Chancen, die noch verschütteten Opfer lebend zu retten.
Voraussichtlich am 25. Januar wird sich die Weltgemeinschaft auf einer Konferenz in Montréal über den Wiederaufbau Haitis abstimmen. Bei einem Sondergipfel am 11. Februar wollen sich auch die Staats- und Regierungschefs der EU mit der Lage des bitterarmen Karibikstaates befassen. (sda/dapd)
Früherer US-Präsident Clinton mit Tochter Chelsea in Haiti eingetroffen
Der frühere US-Präsident Bill Clinton und seine Tochter Chelsea sind am Montag in Haiti eingetroffen. Mit seinem Besuch wollte Clinton seinem Spendenaufruf für den bei dem verheerenden Erdbeben am vergangenen Dienstag verwüsteten Karibikstaat Nachdruck verleihen. Clinton und sein Nachfolger im Weissen Haus, George W. Bush, hatten die US-Bürger am Wochenende zu Spenden für Haiti aufgerufen. Die USA müssten «ein besserer Nachbar» für den bitterarmen Karibikstaat werden, schrieben die beiden Expräsidenten in einem von der «New York Times» veröffentlichten Brief. Clinton ist UN-Sondergesandter für Haiti. (ap)
Haiti Handy-Netz funktioniert wieder
Nach Angaben der grössten Netzwerkbetreibers ist das Handy-Netz in Haitis Hauptstadt Port-au- Prince knapp eine Woche nach dem verheerenden Erdbeben wieder weitgehend funktionsfähig. Das Netz sei zu 70 Prozent wiederhergestellt, teilte der irische Konzern Digicel am Montag mit.
Anrufe mit im Ausland registrierten Handys, das sogenannte Roaming, sei sogar in vollem Umfang möglich. Dies sei angesichts der grossen Zahl an ausländischen Helfern, US-Soldaten und Journalisten besonders wichtig.
Im restlichen Teil des Landes funktioniere das Netz bereits wieder völlig normal. In Haiti verfügt nur ein Prozent der Bevölkerung über ein normales Telefon. Mobiltelefone sind deshalb für die Kommunikation unabkömmlich.(sda)