Nach der Diktatur, Teil II«Gebt die Enkel zurück!»
Während der Militärdiktatur wurden in Argentinien Hunderte Kinder entführt. Der jahrelange Kampf der Menschenrechtler hat sich nun gelohnt: Der exemplarische Fall Noble wird aufgeklärt.
«Gebt die Enkel zurück!», rufen die Passanten in die Mikrofone des TV-Senders der Mediengruppe «Clarin».
Die argentinische Geschichte hat zwischen 1976 und 1983 ihr traurigstes Kapitel erlebt: Während der Militärdiktatur «verschwanden» schätzungsweise 500 Kinder von politischen Gefangenen. Sie wurden gleich nach der Geburt an andere Familien weitergegeben. Auch Ernestina Herrera de Noble, Inhaberin der mächtigsten argentinischen Mediengruppe, «Clarín», hat angeblich im Jahr 1976 zwei solche Babys «adoptiert».
Seit über zehn Jahren versucht nun die Menschenrechtsorganisation «Abuelas de Plaza de Mayo» («Grossmütter der Plaza de Mayo») die Noble-Kinder zum DNA-Abgleich mit der Nationalen Gendatenbank zu zwingen – wie es das Gesetz verlangt. Doch erst jetzt, nach unzähligen rechtlichen Tricks, haben sie DNA-Tests zur Klärung ihrer Herkunft zugestimmt – nicht zuletzt, weil der Druck in der Öffentlichkeit in den letzten Monaten enorm zugenommen hat.
Die Gruppe «Clarín» muss ihr Geschäft schützen
Unter anderem ist der Erfolg der «Abuelas de Plaza de Mayo» der Kampagne «Devuelvan a los nietos» (zu deutsch «Gebt die Enkel zurück!») zu verdanken. Angefangen hat sie mit Plakaten, die bei den regelmässigen Protesten der Grossmütter in die Höhe gehalten wurden und sich an die Adresse der Medienzarin richteten. Bald war der Spruch landesweit verbreitet.
Eine Facebook-Gruppe schaffte es dann, die Aktion vor ein grosses Publikum zu bringen: Sie forderte die Leute auf, bei jeder sich bietenden Möglichkeit den Satz spontan in die Mikrofone der TV-Sender der Clarín-Gruppe zu schreien. Standen Reporter des Nachrichtensenders TN auf der Strasse, um über ein Ereignis zu berichten, wurde ihr Beitrag von Passanten unterbrochen, die beim Vorübergehen «Gebt die Enkel zurück!» riefen.
Geschah das am Anfang der Facebook-Kampagnie nur selten, ist es in den letzten Wochen zum täglichen Volkssport geworden. Oft bleiben dann die verdutzten Journalisten ob solch massiven zivilen Engagements sprachlos. Manchmal werden die Live-Beiträge einfach unterbrochen.
Estela de Carlotto, Präsidentin der Organisation der Grossmütter, ist überzeugt, dass der Druck des Publikums zum Entscheid der Noble-Erben beigetragen hat. «Es könnte ein persönlicher Entscheid der Adoptivkinder sein oder auch ein interner Entschluss des Konzerns.» Schliesslich muss der auch sein Geschäft schützen.
Teil I der Serie: «Argentiniens verlorene Kinder»