Massenmord auf UtøyaWieso die Polizei langsamer war als das TV
Die Spezialeinheit der Polizei erreichte Utøya erst eine Stunde nach dem Notruf. Ihr stand kein Helikopter und nur ein zu kleines Boot zur Verfügung, rechtfertigt der Polizeichef die Verzögerung.
Eine Stunde lang streifte Andreas Behring Breivik über Utøya und machte regelrecht Jagd auf die 600 Lagerteilnehmer. Wer ihm über den Weg lief, wurde niedergestreckt. Sein kaltblütiges Töten beendete der Massenmörder erst als die Antiterroreinheit «Delta» die Insel um 18.25 Uhr stürmte. Der 32-Jährige legte seine Waffen nieder und gab auf – widerstandslos. 68 Personen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits ihr Leben verloren, 16 weitere wurden lebensgefährlich verletzt. Der erste Notruf von der Insel lag beim Eintreffen der Sonderheit allerdings schon 60 Minuten zurück, weshalb Kritik am verzögerten Einsatz laut wurde.
Tatsächlich kreiste ein Helikopter eines Nachrichtensenders zu diesem Zeitpunkt bereits über der Insel und Helfer mit Booten retteten seit längerem bereits panische Jugendliche aus dem Wasser. «Es waren vielleicht 20 Boote», sagte eine an der Rettung beteiligte Anwohnerin. «Wir sind nahe an die Insel ran- und um sie herumgefahren, viel näher als Polizei oder Rettungsdienste», so die 48-Jährige. Die örtliche Polizei habe nicht eingegriffen, sondern die Boote aufgefordert, sich der Insel nicht zu nähern. Wieso die Lokalpolizei nicht bereits vorher eingriff und warum die Deltas nicht mit dem Helikopter eingeflogen wurden, beschäftigt seither ganz Norwegen. Die Frage ist noch nicht restlos geklärt, täglich werden aber neue Details vom Polizeieinsatz bekannt – und sie sind wenig schmeichelhaft für die Polizei von Oslo.
Notruf abgewiesen
So sollen gemäss Medienberichten die ersten Notrufe der panischen Jugendlichen bereits kurz nach 17 Uhr eingetroffen sein. Sie wurden allerdings abgewiesen mit der Begründung, die Anrufer sollten die Leitung freigeben, falls ihr Anruf nichts mit dem Attentat in Oslo zu tun habe.
Die Polizei weiss zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Andreas Behring Breivik hinter beiden blutigen Anschlägen steckt. Offiziell erreichte die norwegische Polizei der erste Notruf erst um 17.27 Uhr. 30 Minuten nach den ersten Schüssen. Im Kugelhagel auf der Insel stirbt derweil ein Beamter, welcher ausserdienstlich und unbewaffnet auf der Insel war. Später stellt sich heraus, dass es sich um den Stiefbruder von Kronprinzessin Mette-Marit handelte.
Helikopter zu weit weg
Die Sondereinheit «Delta» wird um 17.38 Uhr alarmiert. Sie muss die 45 Kilometer zur Insel allerdings mit dem Auto zurücklegen, weil kein Hubschrauber zur Verfügung steht. Wie der Polizeichef am Montagmorgen mitteilte, sei der einzige Helikopter 50 Kilometer entfernt gewesen. «Es hätte insgesamt länger mit dem Helikopter gedauert», rechtfertigte sich Anstein Gjengedal gegenüber dem TV-Sender NRK.
Während die Deltas noch unterwegs sind, treffen um 17.52 Uhr die ersten Polizisten vor Ort ein. Sie können allerdings nicht auf die Insel übersetzen, weil sie keine Boote haben. Zudem soll es sich um die örtliche Polizei gehandelt haben, welche ungenügend ausgerüstet gewesen sei. Es wird entschieden auf die Antiterroreinheit zu warten. Wie die Medien schreiben, wird auch in Polizeikreisen später heftig darüber diskutiert, warum die örtliche Polizei nicht früher eingriff.
Als die Deltas um 18.09 Uhr endlich eintreffen, sind keine Boote vor Ort. Das einzige Polizeiboot ist zu klein für die Sondereinheit. «Das Boot lief voll Wasser und der Motor setzte aus», beschrieb Einsatzleiter Erik Berga die Situation. Die Sondereinheit muss sich an Freizeitkapitäne vor Ort halten, welche sie hinüberfahren.
Verhaftung dauert zwei Minuten
Um 18.25 Uhr erreichen die Deltas endlich die Insel. Die Jugendlichen allerdings können den Beamten nicht sagen, wie viele Attentäter es sind. Die Jungs und Mädchen bleiben aus Angst weiterhin in ihren Verstecken. Andreas Behring Breivik gibt allerdings schnell auf: Offiziell wird er um 18.27 Uhr verhaftet. Zwei Minuten nach dem Eintreffen der Sondereinheit auf der Insel. Für die Jugendlichen wurden die 60 Minuten zur Hölle.
Der Osloer Polizeichef Anstein Gjengdal sah sich am Montagmorgen genötigt angesichts der steigenden Kritik an der Polizeiarbeit zu reagieren. Die Antiterroreinheit «Delta» sei am Freitag sofort nach dem ersten Alarmruf trotz der vorherigen Bombenexplosion in Gang gesetzt worden. «Wir waren schnell da», sagte Gjengdal gegenüber dem TV-Sender NRK. Der einzige Hubschrauber – der zur Verfügung stand – war von der Armee und stand ausserhalb. «Wir haben mehrere Jahre lang um einen Transporthubschrauber gebeten, aber ohne Erfolg», so Gjengedal weiter. Der einzige Überwachungshubschrauber der Polizei war für einen schnellen Flug nach Utøya nicht einsetzbar, «weil das gesamte Personal Ferien machte».