Von der Hausangestellten zur Ministerin

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Von der Hausangestellten zur Ministerin

Im Alter von 13 Jahren verliess Casimira Rodriguez ihr Dorf in Bolivien, um ihr Glück in der Stadt zu suchen.

In der Hoffnung, dem Elend zu entfliehen, nahm sie eine Stelle als Hausmädchen an. Doch das Glück liess auf sich warten. Ihr Leben wurde zum Albtraum, die Anstellung entpuppte sich als Sklaverei.

Rodriguez erfuhr am eigenen Leib, unter welchen Bedingungen arme Menschen in ihrer Heimat leben. Die junge Frau musste für einen 14-Personen-Haushalt kochen, putzen und die Kinder versorgen. Sie bekam kein Geld und durfte das Haus nur verlassen, um Lebensmittel zu kaufen.

Nach zwei Jahren floh Rodriguez und brachte den Fall vor Gericht. Der Richter bat sie, sich zu gedulden. 25 Jahre später wartet sie noch immer auf ein Urteil. Doch die Chancen stehen nicht schlecht, dass Rodriguez schliesslich doch noch ihre Genugtuung bekommt. Denn inzwischen ist die neue Justizministerin des Landes und fest entschlossen, eines der überlasteten, korruptesten und ineffizientesten Rechtssysteme Südamerikas zu reformieren.

Im Januar wurde die ehemalige Hausangestellte in die neue Regierung von Präsident Evo Morales zur berufen. Rodriguez setzt sich für die Rechte und die Traditionen der Indianer ein. Mit ihren zwei dicken Zöpfen und ihren mehrlagigen Baumwollblusen trägt sie die traditionelle Frisur und Kleidung der Indianerinnen.

Gegner werfen ihr vor, sie besitze zu wenig Erfahrungen für das Amt. Der bolivianische Anwaltsverband forderte ihren Rücktritt. Die 40-jährige Gewerkschaftsführerin und Quechua-Indianerin hat weder einen Jura-Abschluss noch eine juristische Ausbildung vorzuweisen. 18 Jahre lang arbeitete sie als Hausmädchen in verschiedenen Familien. Am Abendgymnasium machte sie Abitur, studierte Anthropologie und gründete die nationale Vereinigung der Hausangestellten. Die Alleinstehende lebt derzeit in einem armen Stadtteil und bewohnt dort ein Zimmer in den Räumen der von ihr gegründeten Vereinigung.

«Wir glauben nicht, dass sie die geeignete Person für eine seriöse Politik ist», sagt Jaime Hurtado, Vizepräsident der Nationalen Vereinigung der bolivianischen Juristen. Rodriguez wisse nicht, wie man ein modernes Rechtssystem führe.

Die Justizministerin sieht die Vorwürfe gelassen. Sie hofft, den Indios mehr demokratische Rechte zu verschaffen und ihre traditionellen Gesetze zu stärken. «Ich kenne die Gesetze und alle Paragrafen, aber wir wurden auch gezwungen, in Ungerechtigkeit zu leben. Wir fühlen den Schmerz und Durst aller bolivianischen Schwestern und Brüder nach Gerechtigkeit», sagte Rodriguez in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP.

Die bolivianische Polizei fordert regelmässig Bestechungsgelder von Opfern eines Verbrechens, bevor sie den Fall verfolgt. Auch Strafgerichte kassieren Schmiergelder. Laut einer im Februar veröffentlichten Studie haben 64 Prozent der Bolivianer wenig oder kein Vertrauen in das Rechtssystem.

Doch Änderungen sind schwierig. Die Organisation Amerikanischer Staaten kritisiert, dass Bolivien nur ein Prozent seines Etats in das Rechtssystem stecke. Die meisten Auseinandersetzungen würden ausserhalb des Rechtssystems ausgetragen, erklärt der Leiter der OAS-Rechtsabteilung, Cristian Riego. «Die Indianer sind die Leidtragenden in der Schattenwirtschaft.»

Auch Diana Urioste, Sekretärin einer bolivianischen Frauenrechtsbewegung, nimmt die Ministerin gegen Kritik in Schutz. Die Angriffe seien unfair und rassistisch, die Integrität der Ministerin stehe ausser Zweifel. «Sie ist bescheiden, hat aber klare Gedanken. Menschen brauchen eine Chance zu zeigen, wozu sie wirklich imstande sind.» (dapd)

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