«Opfer, wir haben ein Opfer!»

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Hinterhalt der Taliban«Opfer, wir haben ein Opfer!»

Die US-Patrouille hatte einen Hinweis bekommen. Hinter einer hüfthohen Mauer verschanzt richten die Soldaten ihre Gewehre auf eine Baumgruppe. Die Sonne ist gerade untergegangen. «Wenn sich dort irgendetwas bewegt», sagt der Hauptgefreite Braxton Russel, «dann feuert!»

von
J. Jacobson und A. de Montesquiou/AP

30 Sekunden später bricht eine Gewehr- und Granatsalve aus dem Hain los. «Opfer, wir haben ein Opfer!», schreit jemand. Eine Panzerabwehrrakete hat Joshua Bernard ein Bein abgerissen, das andere ist ebenfalls schwer verletzt. Wenig später, auf dem Operationstisch, wird Bernard sterben, an einem Blutgerinnsel im Herzen. Er ist einer von 51 US-Soldaten, die im August in Afghanistan ihr Leben verloren. Es ist der bislang tödlichste Monat für die amerikanischen Truppen in ihrem Afghanistan-Einsatz.

Trügerische Stille

Eine Fotografin und ein Reporter der Nachrichtenagentur AP sind dabei, als Bernard getroffen wird. Julie Jacobson drückt auf den Auslöser, während sich zwei Marineinfanteristen um den Schwerverletzten kümmern. Das Gesicht des Mannes, der in wenigen Minuten sterben wird, ist klar zu erkennen. Das Bild zeigt die nackte Realität des Krieges.

Drei Tage lang versuchte die Golf Company aus dem 2. Bataillon bereits, das Dorf Dahaneh im Süden Afghanistans aus der Hand der Taliban zu befreien. Zusammen mit Soldaten der afghanischen Armee durchsuchten sie Häuser nach Aufständischen. Nach mehrfachem Beschuss hatte sich die Lage am Abend des 15. August, einem Samstag, entspannt. Man rechnete damit, die radikalen Islamisten endgültig vertrieben zu haben.

Dann waren doch wieder Granatexplosionen und Gewehrsalven zu hören. Eine Patrouille von elf amerikanischen und zehn afghanischen Soldaten macht sich bei Anbruch der Dunkelheit auf den Weg. Mit dabei sind die beiden AP-Journalisten. Der Trupp, begleitet von gepanzerten Fahrzeugen, bewegt sich im Schritttempo vorwärts, vorbei über den verwaisten Basar, an geschlossenen Läden, in Richtung das Wäldchens, wo die Taliban lauern sollen.

«Für zehn Sekunden war alles still»

Die Marines wissen um die Bedrohung. Zwei Hubschrauber beschiessen einen Standort aus der Luft, aber die Bodentruppen glauben nicht, dass die Sache damit erledigt sei, und rücken weiter vor. Bernard, der bereits im Irak im Einsatz war, ist auf dem Vorposten.

Dann bricht das Feuer los. Orangene Blitze schiessen in alle Richtungen. Leutnant Jake Godby glaubt zunächst, Bernard sei auf eine Mine getreten. Rasch bringt er seine Männer an einem Bewässerungsgraben in Position und lässt den Beschuss erwidern. «Dann realisierte ich, dass wir ein Opfer haben», notierte Fotografin Jacobson in ihrem Notizbuch. «Ich sah den verletzten Marine etwa zehn Meter neben mir. Zum zweiten Mal in meinem Leben sah ich einen Soldaten, wie er seines verlor.»

Sie legte sich flach auf den Boden und machte Fotos. «Ich kann nicht atmen», sagte der Getroffene. Im Kugelhagel wird er zum gepanzerten Fahrzeug gebracht und zur Basis gefahren. Von dort bringt ihn ein Helikopter ins Lazarett, dort stirbt er.

Im Morgengrauen zum nächsten Einsatz

Das Gefecht geht weiter. Eine zweite Panzerabwehrrakete schlägt fünf Meter neben Jacobson ein. «Ich drückte mein Gesicht in den Staub, und für zehn Sekunden war alles still», schreibt sie. «Als wenn der Weltfrieden endlich über die Erde gekommen wäre.» Dann nahm sie den Schotter wahr, der um sie herum niederprasselte. «Ich bin immer noch da», denkt sie. «Ich kann es kaum glauben.»

Erst bei Anbruch der Nacht ebbt der Beschuss ab. Die Taliban wissen, dass die US-Soldaten wegen ihrer Nachtsichtgeräte im Vorteil sind, und ziehen sich zurück. Wie viele Opfer es in ihren Reihen gab, lässt sich nicht feststellen. Die Marineinfanteristen erfahren vom Tod Bernards, als sie sich in dem abgedunkelten Haus treffen, das sie als Basis benutzen.

Viel Zeit zum Nachdenken und Sammeln bleibt ihnen nicht. Schon vor Morgengrauen ist der Zug wieder unterwegs zum nächsten mutmasslichen Taliban-Versteck.

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