Sexkomplex im Gottesstaat

Aktualisiert

Iranische DoppelmoralSexkomplex im Gottesstaat

Im Iran verbirgt sich hinter der Fassade streng islamischer Sittengesetze eine hochgradig sexualisierte Gesellschaft. Immer wieder entlädt sich dieser Widerspruch in bizarren Skandalen – etwa um ein Zeitungslogo.

Omid Marivani
von
Omid Marivani
Eine Frau wird 2007 in Teheran von der Polizei angehalten, weil «unsittlich» gekleidet ist, sprich zu viel Haar zeigt.

Eine Frau wird 2007 in Teheran von der Polizei angehalten, weil «unsittlich» gekleidet ist, sprich zu viel Haar zeigt.

Eine Realsatire der besonderen Art ereignete sich neulich in der iranischen Medienlandschaft. Wie das Nachrichtenportal «Mianeh» berichtete, hat das iranische Kulturministerium die Tageszeitung «Tehran Emruz» angewiesen, ihr Logo zu ändern, weil es Ähnlichkeit mit einer nackten Ballerina habe. Das Logo besteht aus zwei Schriftzügen in persischer Kalligraphie, wobei die Behörden im Wort «emruz» (heute) den anstössigen Akt entdeckten.

Der Chefredaktor der regimekritischen Zeitung hat inzwischen reagiert und das Logo geringfügig abgeändert. Doch auf der Website verwendet er trotzig die ursprüngliche Version – pikanterweise direkt neben der «entschärften» auf der eingebetteten Druckausgabe, als wolle er seine Leser mit der absurden Verfügung des Kulturministeriums belustigen. Die skurrile, aber eigentlich harmlose Anekdote verweist auf ein ernsthaftes Problem: Den Konflikt zwischen dem prüden, repressiven Establishment und der liberaleren, nach sozialer und sexueller Freiheit dürstenden Jugend.

Masturbieren schädigt die Nieren

In ihrem im Interviewstil gedrehten Film «Tabou – Zohre & Manouchehr» lässt die iranische Regisseurin Mitra Farahani beide Seiten zu Wort kommen. Eine Prostituierte erklärt, Freiern ausschliesslich Analverkehr anzubieten, um sich ihre Jungfräulichkeit zu erhalten und so ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt intakt zu halten. Ein Chirurg erzählt von einer Patientin, die sich aus demselben Grund dreimal das Jungfernhäutchen wieder zusammennähen liess. Das erste Mal habe sie im Schwimmbad ein Wasserstrahl getroffen, das zweite Mal sei sie vom Stuhl gefallen und beim dritten Mal schliesslich habe sie Sex gehabt.

Eine andere junge Iranerin gesteht, sie müsse ständig an Sex denken. Sie würde ihre Energie gerne anderweitig einsetzen und fordert deshalb, der Jugend sollten sexuelle Kontakte vor der Ehe erlaubt sein. Ein junger Mann ringt um Fassung und prophezeit, irgendwann wegen seinen stockkonservativen Eltern den Verstand zu verlieren.

Auf der anderen Seite warnt eine fast vollständig verschleierte Frau junge Mädchen vor der Selbstbefriedigung. Masturbation schädige die Nieren, ganz zu Schweigen vom Herz. Ein frommer Kriegsveteran erklärt den Tränen nah, er schäme sich manchmal das Haus zu verlassen, weil die Gesellschaft draussen so verdorben sei. Ein junger Geistlicher schliesslich glaubt, die Quelle allen Lasters gefunden zu haben: Alles beginne mit einem Blick. Versehentlich eine Frau anzusehen, die einem gefällt, sei in Ordnung. Wer aber dann die Augen nicht sofort abwende, begehe eine Sünde.

Schlüpfrige Witze für den obersten Führer

Die Grenzen verlaufen allerdings nicht so trennscharf, wie der Film glauben lässt. Dass manchmal auch gestandene Vertreter der Islamischen Republik Opfer ihres Sextriebs werden, belegen zahlreiche Skandale und Enthüllungen. So verriet unlängst ein mutmasslicher Überläufer aus dem engsten Umfeld des obersten Führers Chamenei dem britischen «Daily Telegraph», dass das iranische Staatsoberhaupt regelmässig unter Depressionen leide und sich zur Aufheiterung schlüpfrige Witze erzählen lässt.

Anfang 2009 wurde ein Mullah von einer versteckten Kamera gefilmt, wie er mit einer Prostituierten Ehebruch beging. Das Video mit den anzüglichen Bemerkungen des fehlbaren Geistlichen wurde zu einem Renner im Internet. Die spektakulärste Entgleisung leistete sich freilich der ehemalige Polizeichef Teherans. Im April 2008 wurde er in einem Bordell erwischt, wo er sechs Prostituierte gezwungen hatte, nackt vor ihm zu beten. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen junge Frauen wegen angeblicher moralischer Verfehlungen verhaftet und im Gefängnis von Polizeibeamten vergewaltigt werden.

Mit seiner Doppelmoral bestätigt das islamische Establishment Irans: Nicht die pubertierende Jugend, sondern jene, die in Kalligraphien nackte Frauen erkennen und die der Anblick unverschleierter Haare erregt, haben ein sexuelles Problem.

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