Überraschender RücktrittBundespräsident Köhler tritt zurück
Paukenschlag in Berlin: Mit Tränen in den Augen gab der deutsche Bundespräsident Horst Köhler seinen sofortigen Rücktritt bekannt. Angela Merkel ist bestürzt.
Auschnitt aus dem umstrittenen Radio-Interview.
«Ich erkläre meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten», sagte Köhler am Montag in Berlin. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass der Präsident zurücktritt. Beim Verlesen der kurzen Erklärung in seinem Amtssitz Schloss Bellevue standen dem 67-jährigen Staatsoberhaupt Tränen in den Augen. Streckenweise versagte ihm die Stimme. An seiner Seite stand Ehefrau Eva Luise.
Er begründete seinen Entscheid mit der Kritik an seinen Äusserungen in Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehre jeder Rechtfertigung, sagte Köhler. Das lasse den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen.
Köhler sagte, er habe Bundesratspräsident Jens Böhrnsen über seinen Schritt informiert. Der SPD-Politiker Böhrnsen übernimmt vorübergehend die Amtsgeschäfte. Der Bundesrat ist die Länderkammer in Deutschland. Sein Präsident ist protokollarisch der zweite Mann im Staat.
Krieg aus wirtschaftlichen Interessen?
Köhler hatte in einem Deutschlandradio-Interview nach seinem Besuch in Afghanistan erklärt, im Notfall sei auch «militärischer Einsatz notwendig ..., um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege». Das war im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz verstanden worden, um den es in dem Interview hauptsächlich ging.
Linke, Grüne und SPD forderten darauf am Freitag eine Klarstellung, ob Köhler wirklich Kriege zur Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen befürworte. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi nannte Köhlers Worte unverantwortlich. «Für Export und Freihandel kann man alles mögliche tun, aber sicher keine Kriege führen», sagte er der «SZ».
Fehlender Respekt vor dem Amt
Die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehre jeder Rechtfertigung, sagte Köhler am Montag in Berlin. Das lasse den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Freitag über eine Sprecherin deutlich gemacht, dass sie zu den Äusserungen Köhlers keine Stellung nehmen will. Im übrigen habe Köhler seine Äusserungen präzisieren lassen. «Und dem ist nichts hinzuzufügen.»
Merkel bestürzt über Rücktritt
Kanzlerin Angela Merkel hat mit Bestürzung auf den überraschenden Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler reagiert. «Ich bedauere diesen Rücktritt aufs allerhärteste», sagte die CDU-Vorsitzende am Montag in Berlin. Sie habe erfolglos versucht, Köhler noch umzustimmen.
Merkel sagte, sie habe um 12 Uhr mit Köhler telefoniert - zwei Stunden vor der Pressekonferenz, auf der Köhler seinen Rücktritt bekanntgab. «Ich war überrascht von dem Telefonat», erklärte sie.
«Ich glaube, dass die Menschen in Deutschland sehr traurig sein werden über den Rücktritt», sagte Merkel. Sie habe mit Horst Köhler immer gut zusammengearbeitet. Er sei ihr ein wichtiger Ratgeber gewesen. Köhler habe «wichtige Arbeit für Deutschland» geleistet und das Ansehen des Landes gestärkt. Es bleibe «ein tiefes Bedauern über diesen Schritt», aber es gelte, ihn zu respektieren, sagte Merkel. (sda/dapd)
Erster Rücktritt eines deutschen Bundespräsidenten
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist ein Bundespräsident während der Amtszeit zurückgetreten. Horst Köhler ist der neunte Präsident seit 1949 und wurde im Mai 2009 für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland und wird für eine Amtszeit von fünf Jahren von der Bundesversammlung gewählt. (whr)
Schweiz bedauert Rücktritt
Die Schweiz hat den Rücktritt des deutschen Bundespräsidenten am Montag «mit Überraschung und Bedauern» zur Kenntnis genommen.
«Horst Köhler ist ein integrer, kompetenter und im Volk beliebter Bundespräsident», sagte Georg Farago, Sprecher des Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), am Montag auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA.