Scotland YardDer Mythos von der «anständigen» Polizei
Scotland Yard galt lange als beste Polizei der Welt. Korruption und Rassismus haben ihren Ruf jedoch schon vor dem Murdoch-Abhörskandal beschädigt.

Polizeichef Paul Stephenson bei seinem Amtsantritt im Januar 2009 vor dem Scotland-Yard-Hauuptquartier. Jetzt musste er den Hut (oder die Mütze) nehmen.
Erst ging am Wochenende Polizeichef Paul Stephenson. Dann folgte am Montag sein Stellvertreter John Yates. Stephenson begründete seinen Rücktritt mit «Spekulationen und Anschuldigungen» über Verbindungen seiner Behörde zur Zeitungsgruppe News International von Rupert Murdoch. Yates hatte 2009 entschieden, dass trotz neuer Vorwürfe keine Ermittlungen im Abhörskandal um das Revolverblatt «News of the World» aufgenommen werden.
Die beiden Scotland-Yard-Chefs betonten, sie hätten sich nichts vorzuwerfen. Dennoch wirft ihr Rücktritt ein grelles Licht auf eine Institution, die vor allem ausserhalb Grossbritanniens den Ruf einer effizienten und integren Polizeitruppe geniesst. Unzählige Bücher, Filme und Fernsehserien haben den Mythos der Londoner Polizei verbreitet. Im deutschen Sprachraum waren es vor allem die Edgar-Wallace-Verfilmungen in den 1960er Jahren.
Bobbys und moderne Methoden
Gegründet wurde der Metropolitan Police Service (MPS), so der eigentliche Name, 1829 vom damaligen Innenminister Robert Peel. Eine schlagkräftige Polizeitruppe mit knapp 1000 Mann sollte in einer Stadt, die bereits damals mehr als zwei Millionen Einwohner zählte, für Ordnung sorgen. Die Bezeichnung Scotland Yard stammt von der ersten Adresse im Regierungsviertel Whitehall. Sie hat sich gehalten, obwohl die Polizei zweimal, 1890 und 1967, ihr Hauptquartier gewechselt hat. Der Standort heisst heute New Scotland Yard.
Nach ihrem Gründer wurden die Polizisten bald Bobbys genannt. Mit ihren schwarzen Uniformen, den unförmigen Helmen und nur mit einem Knüppel «bewaffnet» wurden sie zu einem lebenden Wahrzeichen Londons und zum Symbol für höfliche und bürgernahe Ordnungshüter. Zum Ruhm trug auch die Kriminalabteilung bei, die als erste moderne Fahndungsmethoden wie Fingerabdrücke und Telegrafen einsetzte. Scotland Yard war auch die erste Polizeibehörde, die über ein gerichtsmedizinisches Labor verfügte.
Arroganz und Misswirtschaft
Die Geschichte des Yard besteht längst nicht nur aus Erfolgen. So gelang es nicht, den legendären Prostituiertenmörder Jack the Ripper zu überführen. Ab den 1970er Jahren erhielt der Mythos endgültig Kratzer. Als Polizeichef Robert Mark 1972 sein Amt antrat, zeigte er sich laut CNN erstaunt über Arroganz und Misswirtschaft bei Scotland Yard. «Die Bewährungsprobe für eine anständige Polizei ist, ob sie mehr Verbrecher fängt als beschäftigt», sagte Mark seinen Untergebenen.
Die vermeintliche Provokation war begründet. Vor allem Spezialeinheiten der Londoner Polizei hatten ein Eigenleben entwickelt, in dem das Fabrizieren von Beweismaterial oder die Annahme von Bestechungsgeldern von Unterweltfiguren an der Tagesordnung waren. Mehrere hohe Beamte wanderten wegen Korruption selber hinter Gittern, Dutzende weitere wurden gefeuert. Doch auch in späteren Jahren wurden immer wieder Korruptionsfälle aufgedeckt.
In den 80er und 90er Jahren wurde Scotland Yard zusätzlich von Rassismus-Vorwürfen erschüttert. Eine nach der Ermordung eines schwarzen Teenagers 1993 eingeleitete Untersuchung bescheinigte der Polizei, die kaum Angehörige von Minderheiten beschäftigte, «institutionellen Rassismus». Für negative Schlagzeilen sorgte auch die Erschiessung des 27-jährigen Brasilianers Jean Charles de Menezes kurz nach den Terroranschlägen im Juli 2005 an einer U-Bahn-Haltestelle. Man hatte ihn mit einem Terrorverdächtigen verwechselt.
Tausende Promis abgehört
Nun bringt der Abhörskandal Scotland Yard erneut ins Zwielicht. Er zeigt die grosse Nähe von Polizisten und Journalisten des Murdoch-Verlags, wobei für heisse Infos auch Geld geflossen war. Für ein «Erdbeben» könnten gemäss der «New York Times» sechs Säcke mit rund 11 000 Seiten handschriftlicher Notizen sorgen, die in einer Asservatenkammer von Scotland Yard gefunden wurden. Sie sollen belegen, dass Polizisten tausende Promis und Verbrechensopfer im Auftrag von «News of the World» abgehört haben.
Hinzu kommt das «Drehtür-Prinzip»: Der ehemalige «News of the World»-Vizechefredaktor Neil Wallis arbeitete als PR-Berater für Scotland Yard, umgekehrt heuerte ein ehemaliger Polizist als Kolumnist beim Murdoch-Blatt «The Times» an. Eine interne Untersuchung soll nun Klarheit schaffen. Doch das Volk ist skeptisch. In einer Umfrage erklärten 63 Prozent laut CNN, die Londoner Polizei habe an Vertrauen eingebüsst.