Demonstrieren verbotenDie eiserne Faust des syrischen Regimes
Blutige Unruhen drohen Syrien: Die Armee steht geschlossen hinter Präsident Assad. Sie ist entschlossen, das Volk mit allen Mitteln am Demonstrieren zu hindern.
Bei den jüngsten Revolutionen in Tunesien und Ägypten haben die Streitkräfte die Demonstranten unterstützt, in Syrien hingegen stehen die Soldaten geschlossen hinter dem Regime. Präsident Baschar Assad hat alle Schlüsselpositionen mit Mitgliedern der alawitischen Minderheit besetzt und sich so die Loyalität des Militärs gesichert.
Sollten die Proteste gegen die syrische Regierung anhalten, werden die Streitkräfte nach Auffassung von Experten hart gegen die Demonstranten vorgehen. «Wenn es einen Wechsel in Syrien gibt, wird es ein blutiger Wechsel sein», prognostiziert Hilal Chaschan, Professorin für Politikwissenschaften an der Amerikanischen Universität in Beirut. «Assad kontrolliert die Streitkräfte, die Geheimdienste und die Sicherheitsbehörden. Das sind starke Dienste und sie sind spezialisiert auf Unterdrückung im Inneren.»
Schon der Ausbruch der Unruhen in Syrien ist überraschend: Die Familie Assad regiert das Land seit 40 Jahren mit eiserner Hand und hat bislang jede Opposition brutal unterdrückt. Die jüngsten Proteste begannen, nachdem in der Stadt Daraa einige Schüler verhaftet worden waren, die regierungskritische Graffiti an Wände gesprüht hatten. Während der anschliessenden dreiwöchigen Demonstrationen töteten die syrischen Sicherheitskräfte mindestens 80 Menschen.
Human Rights Watch verurteilt Vorgehen der Sicherheitskräfte
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte scharf verurteilt. «Seit drei Wochen schiessen die syrischen Sicherheitskräfte auf weitgehend friedliche Demonstranten», sagt die Direktorin für den Nahen Osten bei Human Rights Watch, Sarah Leah Whitson. «Anstatt gegen die Verantwortlichen zu ermitteln, beschuldigt die syrische Regierung unbekannte ».
Tief im Bewusstsein der Nation ist das Massaker von Hama verankert. Baschar Assads Vater Hafis hatte 1982 einen Aufstand von Sunniten brutal niederschlagen lassen. Die Streitkräfte beschossen die Stadt damals mit schweren Waffen und töteten Zehntausende Zivilpersonen. «Hama ist noch immer in den Köpfen und Herzen der Syrer», sagt Chaschan. «Wir sehen jede Woche kleine und begrenzte Demonstrationen, aber sie halten an. Die Menschen in Syrien haben Angst, denn sie wissen: Das Regime wird alles tun, um an der Macht zu bleiben.»
Syrien ist allein aufgrund seiner Demografie ein fragiler Staat. Die schiitischen Alawiten, der auch die Familie Assad angehört, machen gerade mal elf Prozent der Gesamtbevölkerung aus, kontrollieren aber alle wichtigen Posten in dem grösstenteils sunnitischen Land. Zudem leben über eine Million irakische Flüchtlinge in Syrien, die die ethnischen und konfessionellen Spannungen weiter verschärfen.
Assad spielt mit den Ängsten vor einem religiösen Bürgerkrieg
Präsident Assad spielt geschickt mit den Ängsten der Menschen vor einem religiösen Bürgerkrieg. So sprach er kürzlich von einer «ausländischen Verschwörung», die konfessionelle Konflikte schüre und das Land so spalte. Der Direktor des Instituts für Politik und Internationale Beziehungen an der Amerikanischen Universität in Beirut glaubt nicht an die Verschwörungstheorie. «Es ist unwahrscheinlich, dass externe Kräfte geschickt genug sind, um Aufstände in Ägypten, Tunesien, Libyen, Jordanien, Jemen, Bahrain und Syrien zu provozieren», schrieb Issam Fares kürzlich in einem Leitartikel der libanesischen Zeitung «Daily Star».
Auch wenn das Regime in Damaskus sich auf seine Sicherheitskräfte verlassen kann, ganz sicher scheint sich Assad seiner uneingeschränkten Macht nicht mehr zu sein. So sah er sich in den vergangenen Wochen zumindest zu einigen symbolischen Gesten veranlasst. Er entliess seine Regierung und berief ein Komitee zur Überprüfung der seit Jahrzehnten geltenden Notstandsgesetze ein. Als Zugeständnis an die Konservativen der sunnitischen Minderheit liess er am Mittwoch das einzige Kasino des Landes schliessen und erlaubte Lehrerinnen wieder das Tragen eines Kopftuchs.
Ob Assad mit diesen Schritten die Situation jedoch beruhigen kann, darf bezweifelt werden. Vor allem Zugeständnisse an die Religionsgemeinschaften könnten gefährlich sein. Nach der Auffassung vieler Experten ist es gerade der strenge Säkularismus, der die konfessionellen Spannungen in Syrien bislang unter Kontrolle gehalten hat.
(dapd)