Dunkle Schatten über Schloss Wilhelminenberg

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Kindsmissbrauch aufgedecktDunkle Schatten über Schloss Wilhelminenberg

Missbrauchsskandal in Österreich: Über Jahre wurden Kinder auf Schloss Wilhelminenberg misshandelt, vergewaltigt und zu Tode geschlagen. Die Behörden geraten in die Kritik.

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Das Schloss Wilhelminenberg diente in der Nachkriegszeit als Kinderheim.

Das Schloss Wilhelminenberg diente in der Nachkriegszeit als Kinderheim.

Das Schloss Wilhelminenberg hat eine glorreiche Zeit hinter sich. Erbaut am Ende des 18. Jahrhundert von einem österreichischen Feldherrn, ist es idyllisch auf einem Hügel bei Wien gelegen. Im Besitz von Reichen und Adligen war es im Laufe der Zeit immer wieder Zufluchtsort für Bedürftige und Verletzte. Sein Name rührt denn auch von der ehemaligen Besitzerin Wilhelmine von Montléart, die wegen ihrem Einsatz für Arme nur «Engel vom Wilhelminenberg» genannt wurde.

Um so mehr erstaunt und erschreckt, was dieser Tage in den österreichischen Medien über die Vorkommnisse im heutigen «Gästehaus Schloss Wilhelminenberg» berichtet wird. Im Schloss, das nach dem Zweiten Weltkrieg als Waisenhaus und Kinderheim genutzt wurde, sollen hunderte Mädchen während Jahrzehnten massiv misshandelt, vergewaltigt und gar getötet worden sein. Mehrere Frauen, die dort untergebracht waren, erheben schlimme Vorwürfe.

Vergewaltigt und geschlagen

Eva L., 49 Jahre alt, und ihre Schwester Julia K., 47, waren im Alter von 8 und 6 Jahren auf Schloss Wilhelminenberg gekommen. Schon von Beginn weg haben die Erzieherinnen enormen Druck auf die Geschwister ausgeübt. Im österreichischen Fernsehen brechen die beiden ihr jahrelanges Schweigen: «Im Heim ist uns immer gesagt worden, dass Heimkinder niemand will. Heimkinder sind nichts wert.» Regelmässig seien sie vom Heimpersonal vergewaltigt worden, oft auch von fremden Männern. Diese hätten auch Geld dafür gezahlt.

Zudem wurden die Kinder brutal verprügelt und gedemütigt – auch bis zum Tod. Von der Ambulanz abgeholte Mädchen seien nie mehr zurückgekehrt. Im Interview mit der Zeitung «Kurier» erzählt Julia K.: «Linda (eine Erzieherin) hat mich an den Haaren in den Waschraum gezerrt, hat mich aufs Brutalste in die Ecke geschlagen oder mit dem Kopf ins volle Waschbecken getaucht. Sie hat ein Handtuch genommen, einen Knoten reingemacht, hat ihn nass gemacht und auf mich eingeschlagen.» Immer wieder sei dies so passiert. Viele Kinder seien ins Spital eingeliefert worden. Aber die Ärzte hätten geschwiegen.

Kein Recht zu leben

Auch Hunger und Durst mussten die kleinen Mädchen erdulden. Aus Verzweiflung hätten sie auch Wasser aus der Toilette getrunken. Zudem wurden die Kinder auch psychisch gequält. Ihnen seien Filme aus einem Konzentrationslager gezeigt worden. Die Mordszenen wurden mit den Worten «Versteht ihr jetzt, dass ihr auch dorthin gehört und nicht das Recht habt, zu leben?» kommentiert.

Neben den beiden Opfern ist auch eine heute über 70-jährige Frau in die Offensive gegangen. Sie war zwischen 1948 und 1953 im Schloss und bestätigt die Aussagen der beiden Schwestern. Ihr Anwalt sagte zur Zeitung «der Standard»: «Kinder sind zu Tode gekommen. Das Opfer hat das sehr authentisch geschildert.» Die Frau sei Zeugin geworden, wie ein Kind nach den Misshandlungen starb.

Bestritten werden die Vorwürfe von einer ehemaligen Erzieherin im Schloss. Sie arbeitete Anfang der 70er-Jahre dort. «Was die beiden erzählen, ist nicht möglich», sagt die 72-Jährige. Zu dieser Zeit hätten im Heim gar keine Männer gearbeitet.

Behörden wussten Bescheid

Das genaue Ausmass der Vorfälle ist derweil noch nicht bekannt. Aber offenbar haben die Wiener Behörden bereits seit dem letzten Jahr Kenntnis von zumindest einem Teil der Anschuldigungen. Eine entsprechende Anzeige und Ermittlungen wurden bestätigt. Die Untersuchung sei vom Staatsanwalt aber ohne Ergebnisse wieder beendet worden, heisst es. Für Kindesmissbrauch gelte eine Verjährung von zehn Jahren. Von Todesfällen will man bei den Behörden nichts wissen. Auch seien nie männliche Erzieher im Schloss tätig gewesen.

Die Stadt Wien zahlte laut «Kurier» im letzten Jahr trotzdem an 139 Frauen Entschädigungen aus. Diese kämpfen aber weiter und empfinden die gezahlten Beträge als zu gering. Ihr Anwalt erhebt schwere Vorwürfe an die Stadt. Dem Verdacht sei nicht genügend nachgegangen worden. «Die haben ihnen gesagt, wir wollen keine Beweise, wir wollen keine Fotos. Die sind nicht in die Tiefe gegangen und haben nicht zugehört.» Der Anwalt will nun Klarheit. Er spricht von einer vierstelligen Dunkelziffer. Für ihn ist klar: «Eine Geschichte dieser Art kann man nicht erfinden. Das ist unmöglich.» Er habe Kenntnis von zumindest drei Erziehern, die auf Schloss Wilhelminenberg tätig waren.

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