Verbaler AusrutscherEin Schlichter greift zum Zweihänder
Heiner Geissler wollte im festgefahrenen Streit um Stuttgarts Tiefbahnhof schlichten - und zitiert Goebbels. Die Aufmerksamkeit ist ihm gewiss. Ob das der Konfliktlösung dient?

Mit seiner Äusserung allein auf weiter Flur: Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geissler.
«Wollt ihr den totalen Krieg?» Diese Frage hat Heiner Geissler in Stuttgart in die Runde geworfen. Exakt dieselbe Frage hatte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 in Berlin in die Massen geschleudert. Goebbels Monolog ist als «Sportpalastrede» in die Geschichte eingegangen.
Der Reichspropagandaminister hatte die Stärke des deutschen Volks gelobt und ihm in der Klimax seiner berüchtigten Rede zehn rhetorische Fragen gestellt. Die vierte – «Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg?» – ist prägend für die gesamte Rede in Erinnerung geblieben, weil das Publikum dazu am heftigsten reagierte. Es rief frenetisch: «Ja!»
Kein Applaus für Geissler
Und nun also Heiner Geissler, der sich vor 26 Jahren vehement gegen den Vergleich mit Goebbels wehrte. Der frühere Kanzler Willy Brandt hatte ihm vorgeworfen, «seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land» zu sein.
«Wollt ihr den totalen Krieg?», fragte also Geissler am letzten Freitag bei der Präsentation der Ergebnisse des Stresstests für den geplanten Tiefbahnhof in Stuttgart. Es brandete ihm kein Applaus entgegen. Das grosse Donnerwetter brach erst im Nachhinein über ihn herein. Dass es einige Tage gedauert hat, dürfte damit zusammenhängen, dass Geissler einen überraschenden Kompromiss-Vorschlag unterbreitet hatte.
Mit einer Entschuldigung, einem Abwiegeln, hätte Heiner Geissler dem aufkommenden Sturm schnell den Wind aus den Segeln nehmen können. Doch er stritt zunächst ab, überhaupt gewusst zu haben, dass das Zitat Josef Goebbels zugeordnet wird.
Dann verteidigte der 81-Jährige seine Äusserungen. «Das Zitat war eine Zuspitzung, um deutlich zu machen, dass man eine friedliche Lösung braucht. Man muss gehört werden, sonst schlafen die Leute ein», sagte er. Eine Zuspitzung also. Doch widerspricht sich der Schlichter Geissler damit nicht selbst?
«Mit diesem Vergleich diskreditiert er alle»
Die Äusserungen stossen in Deutschland auf heftige Kritik. Die baden-württembergische FDP-Generalsekretärin Gabriele Heise wirft Heiner Geissler vor, die Relationen zu verlieren. «Die Aufhetzung unter dem Unrechtsregime der Nazis eignet sich nicht für launige Vergleiche», erklärte sie. «Mit diesem Vergleich diskreditiert er alle, die friedlich von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen.»
Geissler wiederum verurteilt die Reaktion der Medien: Sie habe etwas Manisches. «Jedes Mal, wenn man etwas aus der Nazi-Zeit auch nur erwähnt, werden manche Leute nervös und verrückt», sagte er zu «Focus». «Wenn ich in der Nähe von Goebbels bin, ist der Playboy das Mitteilungsblatt des Vatikans.»
Die Sportpalastrede Goebbels
(Quelle: Youtube/progradandize)
Mit Material der Agentur ap