«Taliban halten Liebespaar wohl für Agenten»

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Entführte Schweizer«Taliban halten Liebespaar wohl für Agenten»

David O. und Daniela W. sind in der Gewalt der Taliban. Diese haben das Paar nach Süd-Waziristan verschleppt. Eine Lösung der Geiselnahme wird damit «noch schwieriger», sagt ein Terror-Experte.

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Vier Tage nach der Entführung des Berner Paars in Pakistan gibt es eine erste Spur: Wie die Nachrichtenagentur DPA schreibt, haben sich die Taliban zur Geiselnahme bekannt. Gemäss einem Sprecher der Aufständischen sind David O. und Daniela W. ins Stammesgebiet Süd-Waziristan gebracht worden. Forderungen folgten, hiess es weiter. Es gehe um Lösegeld oder den Austausch gegen inhaftierte Gesinnungsgenossen.

Eine offizielle Bestätigung der pakistanischen Behörden gab es dafür zunächst nicht. «Wir arbeiten an dem Fall, haben aber bislang keine Erkenntnisse darüber, wo die Schweizer sein könnten», zitiert die Nachrichtenagentur einen Sprecher der Regionalregierung.

Jeder Fremde ist für die Taliban ein feindlicher Agent

Dass die pakistanische Regierung noch nicht sagen kann, wer das Berner Paar entführt hat, überrascht Experten nicht. «Die Gegend ist sehr undurchschaubar», sagt Rolf Tophoven. Gemäss dem Leiter des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik im deutschen Essen gibt es in diesem Gebiet pakistanische und afghanische Taliban, aber auch usbekische Terrorkommandos und die Al Kaida. «Selbst die pakistanische Armee hat nur schwer Zugang in dieses Gebiet», so Tophoven zu 20 Minuten Online. «Mit dem Wohnwagen in dieser Gegend unterwegs zu sein, ist angesichts der explosiven politischen Lage sträflicher Leichtsinn – umso mehr aufgrund der Tatsache, dass es sich um einen Polizisten und seine Partnerin handelt», sagt der Terror-Experte, «ihr Handeln ist an Naivität nicht zu überbieten».

Für Tophoven gibt es wenig Grund, an der Aussage der Taliban zu zweifeln. «Die Taliban sind jeglichen Fremden gegenüber sehr misstrauisch und halten sie für feindliche Agenten.» Wie die Entführung nun weitergeht, ist gemäss Tophoven schwierig zu sagen. «Gelingt es den beiden Entführten, die Taliban davon zu überzeugen, dass sie nur im Urlaub sind, könnten sie freigelassen werden.» Grundsätzlich verlaufen Geiselnahmen in diesem Gebiet aber unterschiedlich, weshalb modellhafte Skizzierungen der Entführungen nicht möglich sind.

Süd-Waziristan verringert die Chancen des Liebespaares

Gemäss Tophoven hängt der Ausgang vom Taliban-, Stammes, oder Milizenführer ab, welcher das Kommando hat. «Je nach dem, wie der Führer tickt, kann die Geiselnahme glücklich oder blutig ausgehen.» In der Vergangenheit seien Geiseln schon mal Monate festgehalten worden und kamen letztlich frei. Umgekehrt endeten Entführungen aber auch schon blutig. «Solange keine Forderungen kommen», sagt Tophoven, «ist es sehr schwierig, irgendwelche Prognosen oder Bewertungen zu machen.» Eines lässt sich aber sagen: Sind die Geiseln nach Südwaziristan ins Stammesgebiet entführt worden, wie der Taliban berichtete, gebe es kaum noch Kontrollen, sagt Tophoven. «Eine Lösung der Geiselnahme ist dann noch schwieriger.»

Polizei geht davon aus, dass sie noch in Belutschistan sind

Noch am Dienstagmorgen berichtete die pakistanische «Daily Times», dass sich das entführte Paar noch immer in Belutschistan befinde. «Die Entführer haben die Grenze noch nicht überquert», zitiert die Zeitung den leitenden Polizeioffizier Ikhtiar Khan Bangulzai. Die Grenzen ins benachbarte Afghanistan sowie nach Süd-Waziristan seien abgeriegelt und es würden strenge Kontrollen gemacht. Es gebe keine Möglichkeit in den Nachbarstaat oder die ehemalige Taliban-Hochburg zu fliehen. Selbst wenig befahrene Strassen seien «praktisch abgeriegelt». Gemäss Angaben vom Montag sollen rund 500 Polizisten und Grenzwächter im Einsatz stehen.

Wer die Entführer sind, war dem leitenden Polizisten nicht bekannt. «In dieser Gegend gibt es verschiedene kriminelle Gangs, die in Frage kommen», sagte er der «Daily Times». Es scheine, sagte Bangalzai weiter, dass die Geiselnehmer ihr sicheres Versteck noch nicht erreicht hätten. Sie hätten sonst längst Forderungen gestellt oder zumindest Kontakt gesucht. Ob Belutschistan, Waziristan oder Afghanistan – die Region ist gefährlich. In Belutschistan kämpfen Milizen seit zehn Jahren für die Unabhängigkeit des Gebietes. Seither gab es Hunderte von Toten, wie pakistanische Medien auflisten. Regelmässig verschwinden dort Personen, weshalb grundsätzlich allen Reisenden ein Begleitschutz empfohlen wird. Diesen genossen auch Daniela und David.

Aus dem Hotel oder doch von der Strasse entführt?

Die Polizei hatte sie durch die Stadt Loralai begleitet. W. und O. hätten sich am Freitagnachmittag dann bei der örtlichen Miliz in der Provinz gemeldet, offenbar wurden sie aber ausserhalb der Stadt nicht weiter eskortiert. Wieso bleibt unklar: Die Behörden in Pakistan schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Was danach geschah, ist nicht ganz klar. Während einige Medien schreiben, dass Daniela W. und David O. aus einem Hotel entführt wurden, berichten andere, dass sie laut Zeugenaussagen von der Strasse weg verschleppt worden seien. Auch offizielle Statements blieben zur Geiselnahme bisher widersprüchlich.

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