Libyen-KonfliktLässt Gaddafi wirklich vergewaltigen?
Der libysche Machthaber Gaddafi soll laut USA und UNO seinen Truppen befohlen haben, massenhaft Frauen zu vergewaltigen. Menschenrechts-Organisationen hegen Zweifel - und finden keine Beweise.
Anfang Juni schaltete sich der
Chefankläger des Internationalen Strafgerichts (IStGH) in Den Haag, Luis Moreno-Ocampo in den Libyen-Konflikt ein. Er hatte Brisantes zu vermelden: Ihm lägen Informationen vor, wonach das Regime von Muammar al-Gaddafi «Container von Potenzmitteln wie Viagra eingekauft habe», um seine Soldaten zur sexuellen Gewalt anzuheizen und Frauen massenhaft zu vergewaltigen. Anfangs sei nicht klar gewesen, auf welcher Ebene des Regimes diese Massenvergewaltigungen befohlen worden sei. Inzwischen habe er aber Hinweise dafür, dass Gaddafi selbst beschlossen habe, sexuelle Gewalt als Strafe für vermutete Regimegegner zu verhängen. Neben Mord und Verfolgung könne er Gaddafi nun auch wegen Anstiftung zu Massenvergewaltigungen anklagen.
An einer Medienkonferenz in New York sagte Moreno-Ocampo, dass die Massenvergewaltigungen eine neue Art seien, die rebellierende und unfolgsame Bevölkerung zu bestrafen. Auch US-Aussenministerin Hillary Clinton gab sich vergangene Woche beunruhigt und hat den Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die Regierungstruppen setzten Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen als «Kriegswerkzeuge» ein.
Gibt es wirklich Beweise?
Zwar wurden haufenweise herumliegende Kondome und Viagra-Packungen gefunden. Und es gibt undatierte, verschwommene Hany-Filme von Massenvergewaltigungen. Wirklich greifbare Beweise legten bisher aber weder Moreno-Ocampo noch Clinton der Öffentlichkeit vor. Dies wird zusätzlich erschwert, weil libysche Frauen meist nicht öffentlich über Vergewaltigungen reden, weil sie Repressionen in ihrer Familie fürchten und in den Augen der Angehörigen die Familienehre zerstören.
Bisher ist erst ein einziges Opfer einer Vergewaltigung in Libyen medial bekannt. Es handelt sich um Iman Al-Obeidi, die im März angeblich von Gaddafi-Truppen («Banden») verschleppt und vergewaltigt wurde? Sie flüchtete nach Tunesien, später nach Katar, wo sie Anfang Juni weggewiesen wurde.
Untermauert wurde die Massenvergewaltigungsthese von einer libyschen Psychologin, Doktor Seham Sergewa, die bei der Befragung von libyschen Flüchtlingen angeblich auf zahlreiche Fälle gestossen war, in denen Anhänger Gaddafis Frauen vergewaltigt hatten. Insgesamt hätten 259 von 60 000 Frauen angegeben, vergewaltigt worden zu sein, sagte die in London ausgebildete Ärztin Seham Sergewa.
Amnesty International skeptisch
Amnesty International (AI) äussert Zweifel an den Vergewaltigungs-Vorwürfen, wie The Independent schreibt. Eine Untersuchung der Menschrechtsorganisation habe ergeben, dass es keine Beweise für die Vergewaltigungsthese gebe. Im Gegenteil: Es gebe sogar Hinweise, dass Rebellen in Bengasi wissentlich falsche Anschuldigungen gemacht und Beweise manipuliert hätten. Donatella Rovera von AI, die drei Monate nach dem Kriegsausbruch in Libyen war, erklärte gegenüber dem Independent, man habe keinerlei Beweise, kein einziges Vergewaltigungsopfer und keinen Arzt getroffen, der ein Opfer behandelt hätte. Das beweise zwar nicht, dass nicht vergewaltigt wird, beweise aber auch nicht, dass es die Vergewaltigungen gebe.
Liesel Gerntholtz von der Frauenrechtsgruppe Human Rights Watch, sagt, Interviews mit angeblichen Tätern, gefangenen Gaddafi-Soldaten, hätten höchst Widersprüchliches ergeben. Nichts habe übereingestimmt, weshalb die Aussagen letztlich unglaubwürdig seien. Es bestehe sogar der Verdacht, die mutmasslichen Vergewaltiger wurden für ihre falschen Aussagen von jemanden bezahlt.
Kein Zugang zu angeblichen Opfern
Auch die libyschen Psychologin Seham Sergewa wird mittlerweile heftig kritisiert: Wie die New York Times berichtet, zweifeln andere Ärzte abn ihrer Forschungsmethode. Zudem weigere sie sich, ihre Forschungspapiere anderen Ärzten zu zeigen. Kritisiert wird weiter, dass Sergewa sich an die Medien gewandt habe. Als AI mit den von Sergewa ermittelten vergewaltigten Frauen sprechen wollte, lehnte diese ab. Sie hätte keinen Kontakt mehr zu den Opfern.
Insgesamt sei die Berichterstattung über den Krieg in Libyen im Westen sehr einseitig, konstatiert Amnesty International im «Independent». Aber irgendwie müsse der kostspielige Nato-Einsatz in Libyen, der auch zivile Opfer gefordert hat, gerechtfertigt werden.