Uiguren-AusschreitungenProteste in China weiten sich aus
Nach den schweren Unruhen in der muslimischen Uiguren-Region Xinjiang im Nordwesten Chinas ist die Zahl der Todesopfer auf 156 angestiegen.
Hunderte Demonstranten wurden festgenommen. 90 Anführer der Proteste würden noch gesucht, sagte der regionale Polizeichef Liu Yaohua laut Xinhua am Montag. Die Polizei errichtete in den Bezirken rund um die Provinzhauptstadt Urumqi Strassensperren.
Die Ausschreitungen vom Sonntag waren der tödlichste Zwischenfall in der zentralasiatischen Provinz Xinjiang seit Jahrzehnten. Die Behörden gaben zunächst keine Erklärung für die hohe Opferzahl. Auch war unklar, wie viele der Opfer Han-Chinesen und wie viele Uiguren waren.
Ausgangspunkt der Unruhen war eine zunächst offenbar friedliche Demonstration von 1.000 bis 3.000 Uiguren, wie Augenzeugen berichteten. Sie forderten die Untersuchung einer tödlichen Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern ihrer Volksgruppe mit Han-Chinesen in einer Spielzeugfabrik in Südchina. Offenbar schlug der Protest in Gewalt um, als die Polizei die Demonstration auflösen wollte.
Proteste weiten sich auf Kashgar aus
Nach Angaben der chinesischen Behörden wurden 260 Autos zertrümmert oder in Brand gesetzt und 203 Häuser teils schwer beschädigt. In der Nacht zum Montag kehrte Ruhe ein, nachdem Polizei und Streitkräfte massiv Präsenz zeigten. Mobilfunknetze waren nach den Unruhen lahmgelegt, mehrere uigurische Internetseiten waren blockiert, Beiträge zu dem Thema wurden gezielt aus sozialen Netzwerken gelöscht.
Ein amerikanischer Fulbright-Stipendiat in Urumqi beschrieb die Lage am Montag als äusserst gespannt. «Überall sind Soldaten, Polizisten stehen an jeder Ecke», sagte Adam Grode.
Die Proteste weiteten sich unterdessen nach Berichten von Augenzeugen auf eine zweite Stadt aus. Ein Bewohner der alten Karawanenstadt Kashgar nahe der pakistanischen Grenze sagte am Montag, er habe mit rund 300 weiteren Personen vor der Id-Kah-Moschee demonstriert. Die Menge sei von der Polizei eingekreist worden.
Regierung vermutet Drahtzieher im Ausland
Die Regierung machte Gruppen von Exil-Uiguren für die Ausschreitungen verantwortlich. Der Gouverneur von Xinjiang, Nur Bekri, wies die Schuld einer prominenten Exil-Uigurin in den USA zu. Rebiya Kadeer habe die Ausschreitungen über Anrufe und verschiedene Websites «orchestriert».
Exilgruppen der Uiguren äusserten scharfe Kritik an den chinesischen Sicherheitsbehörden. «Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die Tötung unschuldiger Uiguren zu verurteilen», sagte Alim Seytoff, Vizepräsident der in Washington ansässigen Gruppe amerikanischer Uiguren. Die Anschuldigungen der Regierung gegen die Exil-Uiguren wies Seytoff als Propaganda zurück. Kadeer, die bereits für den Friedensnobelpreis im Gespräch war, ist die Vorsitzende der Organisation.
Die Uiguren sind eine muslimische Minderheit und fühlen sich von der Zentralregierung in Peking unterdrückt, genauso wie die benachbarten Tibeter. Die Uiguren sind in Urumqi infolge der Ansiedlungspolitik Pekings in der Minderheit, Han-Chinesen stellen die Mehrheit der rund 2,3 Millionen Einwohner. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und extremistischen Angehörigen des Turkvolks.
Das chinesische Staatsfernsehen CCTV zeigte Bilder der Ausschreitungen$$VIDEO$$(Quelle: APTN Video)
(dapd)
Uiguren
Die Heimat der Uiguren ist die ölreiche, autonome Region Xinjiang Uigur im Nordwesten Chinas. Rund acht Millionen Menschen gehören dieser türkisch-sprachigen Volksgruppe an. Angesichts der Ansiedelung von mehr als 1,2 Millionen Han-Chinesen fürchten die Uiguren um ihre traditionelle Lebensweise. Im Gegensatz zu den Tibetern fehlt ihnen jedoch eine Symbolfigur wie der Dalai Lama, weshalb ihr Ringen um Eigenständigkeit im Westen viel weniger beachtet wird. Viele Uiguren möchten grössere Autonomie, und manche wollen einen unabhängigen Staat. (pbl)