LibyenGaddafis Truppen greifen Berber an
Die Kämpfe im Westen Libyens nehmen zu: Regierungstruppen greifen vermehrt Städte in den Bergen an. Auch Misrata wird weiter beschossen.
Während die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die seit Wochen belagerte Hafenstadt Misrata gerichtet ist, beschiessen Regierungstruppen auch Städte in der Gebirgsregion zwischen der Hauptstadt Tripolis und der tunesischen Grenze.
Dort leben vor allem Angehörige des Berbervolkes, einer ethnischen Minderheit, die von der Führung schon immer mit Argwohn betrachtet wurde. Sie hatten sich im Februar dem Aufstand gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi angeschlossen und wurden ein Ziel der Militäraktionen.
Zehntausende Berber flohen vor den Kämpfen nach Tunesien. «Unsere Stadt liegt im Dauerfeuer von Gaddafis Truppen», berichtete ein Flüchtling aus Kalaa, dem Zentrum des Berbergebietes.
Misrata unter Beschuss
Auch in Misrata gingen die Kämpfe am Dienstag weiter. Die loyal zu Gaddafi stehenden Truppen, die sich am Osterwochenende aus dem Stadtzentrum zurückgezogen hatten, beschossen nach Angaben der Aufständischen vom späten Montagabend die zum Hafen führende Strasse. Die Regierungssoldaten hätten in den westlichen Vororten Stellung bezogen und feuerten von dort in die Stadt.
Die Lage der Einwohner habe sich rapide verschlechtert, berichtete ein Sprecher der Rebellen. Das kleine Spital sei voller Verletzter. Viele seien in einem kritischen Zustand. «Es ist unvorstellbar.» Sowohl in Misrata als auch in den Bergstädten des Berbergebietes ist die Versorgungslage inzwischen katastrophal.
Erneut griff auch die NATO in die Kämpfe ein: Gemäss Rebellenangaben wurde ein Konvoi der Gaddafi-Truppen, zu dem auch Söldner gehörten, auf dem Weg in die Stadt südwestlich von Tripolis attackiert. Anschliessend seien mehrere verkohlte Leichen in den nahe gelegenen Militärstützpunkt Tidschi gebracht worden, hiess es.
Explosionen in Tripolis
Tripolis wurde nach den NATO-Luftangriffen auf die Residenz Gaddafis erneut von Explosionen erschüttert. Einwohner berichteten von fünf Detonationen, Rauch und Flammen. Tripolis ist seit Freitag Ziel verstärkter Angriffe. Die NATO hatte in der Residenz ein Büro des Machthabers zerstört.
Gaddafi selbst befindet sich seinem Sprecher zufolge in Sicherheit. Er sei bei «guter Gesundheit» und «zuversichtlich», sagte Mussa Ibrahim bei einer Pressekonferenz vor dem zerstörten Gebäude.
Durchzogene Bilanz der NATO
In Neapel zog die NATO am Dienstag eine durchzogene Zwischenbilanz ihres Libyen-Einsatzes: «Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht sehe, wie Gaddafis Truppen mit Gewalt gegen Männer, Frauen und Kinder vorgehen», sagte der Kommandant des Libyen-Einsatzes, General Charles Bouchard, in Neapel. Es gebe aber zunehmend Erfolge.
«Die Zahl der zivilen Opfer wäre weitaus höher, wenn die NATO nicht in Libyen wäre», sagte der General. Genaue Angaben zu Toten könne das Bündnis allerdings nicht machen, da es keine eigenen Truppen am Boden habe.
Bouchard warf Gaddafis Getreuen vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen und verurteilte dies als «unmoralisch, unethisch und illegal». Enden werde die Operation «Vereinte Schutzmacht» erst, wenn Gaddafis Männer ihre Übergriffe auf die Bevölkerung beendeten und ein Dialog möglich sei.
Bouchard begrüsste Italiens Ankündigung, sich an den Luftangriffen der NATO in Libyen zu beteiligen. Insgesamt flogen die Kampfjets der internationalen Truppen am Montag 56 Einsätze über Libyen und damit in etwa so viele wie in den Tagen zuvor. (sda)