Weshalb die Revolution gescheitert ist

Aktualisiert

Unruhen in KairoWeshalb die Revolution gescheitert ist

Nach Mubaraks Sturz hatten die Revolutionäre die Militärs bejubelt. Inzwischen gilt die Revolution als gescheitert, Aktivisten suchen nach Gründen. Klar ist: Sie waren dem historischen Moment nicht gewachsen.

von
Hamza Hendawi
AP

Der Tag seines grössten Sieges war zugleich der Tag, an dem Ägyptens Aufstand auf Abwege geriet. Die Revolutionäre steigerten sich in Verzückung über den Sturz von Präsident Hosni Mubarak und bejubelten die Militärs, die an dessen Stelle traten. «Das Militär und das Volk sind eins», riefen sie.

In den neun Monaten, die seitdem vergangen sind, nahmen die Generäle - allesamt von Mubarak ernannt oder Ewiggestrige aus seinem Regime - die Entwicklung in eisernen Griff. Die Revolutionäre hatten gehofft, dass das alte Regime beseitigt würde und zur Demokratie übergegangen werde. Doch das Militär verschaffte sich eine unermessliche Machtfülle. Zugleich geriet die öffentliche Verwaltung ins Wanken und die Ägypter sorgten sich wegen unsicherer Strassen und einer schrumpfenden Wirtschaft.

«Die Revolutionäre gingen zu früh nach Hause»

Die Jugendgruppen, die im Januar den 18-tägigen Aufstand gegen Mubarak ins Werk gesetzt hatten, wurden beiseite gedrängt, marginalisiert und isoliert. «Wir hätten die Strassen nicht räumen sollen. Wir übergaben dem Militär die Macht auf einem silbernen Tablett», räumte ein 33-jähriger Aktivist jener Tage ein. «Die Revolutionäre gingen zu früh nach Hause. Wir sammelten die Beute ein, bevor die Schlacht vorbei war», klagt er.

In dieser Woche kochte der Zorn über das Verhalten des Militärs in der Übergangsperiode hoch. Blutige Kämpfe brachen auf dem Kairoer Tahrir-Platz aus, bei denen zwölf Demonstranten getötet und Hunderte verletzt wurden. Die Protestierenden forderten von den Streitkräften, schnell ein Datum für die Übergabe der Macht an eine Zivilregierung zu nennen.

Die Stimmung kippte, als am Sonntag Sicherheitskräfte versuchten, den Platz zu räumen. Jetzt sind die regierenden Generäle unter Feldmarschall Hussein Tantawi in den Augen der Demonstranten nichts weiter als eine Fortsetzung des Mubarak-Regimes.

Verwirrung vor den bevorstehenden Wahlen

Die ersten freien Parlamentswahlen sollen am 28. November beginnen. Doch statt Freude und Aufregung herrscht Verwirrung. Das Wahlsystem ist umständlich und kompliziert und die Abstimmung soll sich über Monate hinziehen. Viele wissen nicht, wer sich überhaupt bewirbt.

Als Wahlsieger werden die islamisch fundamentalistischen Parteien, besonders die mächtige Muslimbruderschaft, erwartet. Doch egal wer gewinnt, es bleibt zweifelhaft, ob er die Generäle herausfordern kann, die sich noch jeder durchgreifenden Reform widersetzt haben.

Derzeit versuchen die Militärs, die wichtigste Aufgabe des kommenden Parlaments zu bewältigen, die Zusammenstellung eines Gremiums, das eine neue Verfassung ausarbeiten soll. Der herrschende Oberste Rat der Streitkräfte fordert für sich die Rolle als «Beschützer» der Verfassung sowie Klauseln, die das Militärbudget absichern und ein Vetorecht bei diesem Thema.

Jeder Präsident, der möglicherweise Ende 2012 oder 2013 gewählt werden soll, wird dem Militär verpflichtet sein, entweder weil er aus dessen Reihen kommt oder weil die Generäle mehr Macht angehäuft haben werden als er.

El-Baradei sieht keine Veränderung

«Hätte ich Ägypten am Vorabend der Revolution am 24. Januar verlassen und kehrte heute zurück, würde ich nicht bemerken, dass eine Revolution stattgefunden hat, ausser dass es keine Sicherheit mehr gibt und die Wirtschaft schrumpft», sagte der bekannte Reformbefürworter und Nobelpreisträger Mohammed El-Baradei in einer Talkshow vergangene Woche.

Ein starker Kontrast zu Tunesien fällt ins Auge, wo der arabische Frühling begann und eine Wahl im Oktober viel Enthusiasmus hervorrief. Trotz des Sieges einer islamischen Partei dort gilt die Abstimmung als Sieg der Demokratie. Tunesiens Militär spielte keine Rolle beim Übergang. Die Macht konzentrierte sich klar bei Zivilisten, die jedermann kritisieren konnte.

In Ägypten stellte die Zivilregierung nicht viel mehr als «Sekretäre» für den Militärrat, analysiert El-Baradei. Der Rat ist verschlossen, gibt bisweilen unverständliche Anweisungen heraus, unterdrückt Kritiker und versucht die Aufbegehrenden als «vom Ausland gesteuert» darzustellen. 12 000 Menschen haben die Generäle vor Militärtribunale gezerrt. Ihnen wird vorgeworfen, Gefangene gefoltert zu haben.

Militär griff auf Mubaraks Ausnahmegesetze zurück

Damit nicht genug, haben die Militärs Mubaraks verhasste Ausnahmegesetze erhalten und angewandt und einige der dunkelsten Kapitel des alten Regimes verschleiert. Zum Beispiel wurde dem verrufenen Sicherheitsdienst erlaubt, die meisten seiner Offiziere zu behalten, nachdem er aufgelöst und unter neuem Namen wieder eingesetzt wurde. Auch widersetzten sie sich dem Ruf, Angehörige der Regierungspartei Mubaraks von öffentlichen Ämtern auszuschliessen.

«Sie wurden mehr und mehr feindselig uns gegenüber und ihre Rhetorik ist stets voller Anspielungen auf ausländische Verschwörungen, Paranoia und Fremdenfeindlichkeit. Ich glaube, sie sind überzeugt, dass die Ägypter nicht qualifiziert sind für die Demokratie», sagte der Menschenrechtsaktivist Hossam Bahgat über das Militär.

Nun diskutieren liberale Kräfte, was sie falsch gemacht haben. Man hätte die Bewegung auf der Strasse am Leben halten sollen, meinen einige. Die politischen Kräfte konzentrierten sich auf Debatten über eine gemeinsame Agenda. Die Muslimbruderschaft hielt sich dabei weitgehend heraus, ausser wenn es um Themen ging, die ihre Führer aufregten.

«Einfach ausgedrückt, kannten die Revolutionäre ihre eigenen Stärken und Schwächen nicht, als der Präsident zurücktrat», sagt Negad Borai, ein Anwalt und Aktivist. «Sie waren dem historischen Moment nicht gewachsen.» Andere sehen es als Fehler an, dass die Revolutionäre nicht schnell starke politische Parteien gründeten. Dass sich viele von ihnen weigerten, sich mit den Generälen an einen Tisch zu setzen, habe sie von den Entscheidungen ferngehalten.

Hoffnung auf ein Scheitern der Generäle

«Ihre kompromisslose Haltung gegenüber dem Militär und ihre Isolation von der Strasse haben sie zu so etwas wie einer Internet-Elite gemacht», stellt Mustafa el-Naggar, Mitbegründer der Partei el-Adl (Gerechtigkeit) fest. Bei einigen bleibt aber ein Rest Hoffnung. Sie gründet sich darauf, dass die Generäle beim Versuch, die Wirtschaft anzukurbeln oder die Kriminalität zurückzudrängen, scheitern können. Dann würden sie sich in die Kasernen zurückziehen und Zivilisten das Feld überlassen, lautet das Kalkül.

Die grösste Angst der Militärs ist es, dass eine zivile Regierung erstmals die Kontrolle über sie beanspruchen könnte. Seit die Monarchie 1952 gestürzt wurde, kamen alle Präsidenten Ägyptens aus dem Militär. Das führte zu einem unangefochtenen Staat im Staate mit grosser wirtschaftlicher und politischer Macht. Viele Provinzgouverneure und Chefs wichtiger strategischer Einrichtungen wie Häfen und Flughäfen waren früher Uniformierte.

Angesichts wachsender wirtschaftlicher Schwierigkeiten und steigender Kriminalitätsraten fragen sich viele Ägypter heute, ob die Revolution überhaupt eine gute Sache war. Das Militär nutzt dieses Gefühl und präsentiert sich selbst als Retter der Nation.

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