Drama von BielEiner gegen hundert
Eine Hundertschaft von Beamten jagt seit über 48 Stunden den 67-jährigen Peter K. - ohne Erfolg. Die Polizei findet das «kein katastrophales Bild».
Die Medienkonferenz hätte wohl noch Stunden dauern können: So viele Fragen wie die Journalisten im Bieler Kongresshaus hatten, wollte der Bieler Polizeichef allerdings nicht beantworten. «Wir brechen an dieser Stelle die Medienkonferenz ab», hiess es kurz und deutlich. Zum ersten Mal. Die Stellungnahme der Polizei zum flüchtigen Peter K. hingegen war während der einstündigen Konferenz ein Winden: keine verständliche Erklärung, keine Spur, keine Anzeichen auf eine baldige Verhaftung, dafür eine Kehrtwende um mindesten 90 Grad in der Einschätzung des bewaffneten Rentners. Statt Fragen zu beantworten, tauchten vielmehr neue auf.
Wie kann ein einzelner Rentner Dutzende Beamten zwei Mal entwischen?
Während Peter K. am Mittwoch in seinem Haus ausharrte, umzingelten Dutzende Beamte die Liegenschaft am Mon-Désirweg und riegelten das Gebiet weiträumig ab. Die Presse und die Anwohner liessen sie im Dunkeln, sprachen lediglich von einem «Einsatz». 20 Stunden nach Beginn der Aktion eskalierte die Situation: Peter K. schoss einen Beamten nieder und zog sich wieder zurück – scheinbar. Tatsächlich verschwand er unbemerkt von den Beamten aus dem Haus und tauchte irgendwo in der Region ab. Die Informationen verbreiten sich wie ein Lauffeuer im Quartier: Schulen wurden geschlossen, Leute berichteten der Presse von Polizeiaufmärschen – doch ein offizielles Statement der Polizei gab es nicht.
Erst Stunden später informierte die Behörden erstmals offiziell, eine landesweite Grossfahndung wird ausgelöst: Spezialeinheiten aus dem gesamten Land rückten an, das Quartier wurde abgeriegelt und das Suchgebiet erweitert. Das Resultat: 12 Stunden später tauchte Peter K. erneut bei seinem Haus auf und eröffnete sofort das Feuer auf die Beamten der Sonderheiten vor Ort. Die Polizei schoss zurück, doch Peter K. verschwindet wieder wie er kam – unbemerkt und spurlos.
Die Erklärung vom Bieler Polizeichef Gaudy ist zwar ehrlich, aber auch erstaunlich: «Peter K. ist der Polizei einen Schritt voraus», so Gaudy unmissverständlich. Der Mann habe sich womöglich Monate lang vorbereitet. «Das Quartier ist offen: Er kennt jeden Busch, jeden Balkonvorsprung, jeden Garten.» K. würde nicht auf der Strasse daher spazieren, so Gaudy. Sie hätten nach seinem ersten Verschwinden «keine konkreten Anhaltspunkte zum Aufenthaltsort des Täters gehabt». Offenbar überraschte der 67-Jährige die Polizei mit seiner Rückkehr, wie Gaudy erklärte. «Er hat aus grosser Distanz auf uns geschossen, wir konnten ihn deshalb nicht gleich sehen.»
Wieso unterschätzte die Polizei das Gewaltpotenzial von Peter K.?
Die Polizei scheint überhaupt von Peter K. überrascht worden zu sein: Während am Donnerstag die Beamten noch von keiner oder nur einer kleinen Gefahr für die Bevölkerung sprachen, liessen sie das Quartier weiträumig sperren und evakuierten Dutzende Anwohner. Die Polizei befürchtete offenbar, dass Peter K. das Haus «in die Luft sprengen könnte», wie Gaudy am Freitag vor den Medien erklärte. Dies ist wohl auch der Grund, weshalb die Polizei das Haus nicht gleich stürmte. Doch wenn man sogar eine Sprengung des Hauses nicht ausschloss, warum gab man das Quartier am Freitagmorgen frei? Vor allem angesichts der Tatsache, dass Peter K. nur Stunden zuvor nochmals sein Haus aufgesucht und erneut auf Polizisten geschossen hatte. Hat die Polizei den Mann unterschätzt?
Die Antwort gab Gaudy am Freitagmorgen gleich selbst: «Peter K. ist äusserst gewalttätig, mehr als wir uns vorstellen konnten», so der Bieler Polizeichef vor den Medien. Die Polizei traute Peter K. eine Sprengung zu - wurde davon aber überrascht, dass er nochmals zu seinem Wohnhaus zurück kehrt und erneut auf Polizisten schiesst? Ein Widerspruch, der nur schwer verständlich ist. Hinzu kommt die ebenso schwer nachvollziehbare Kommunikation in den vergangenen zwei Tagen: Während gemäss Gaudy «nicht auszuschliessen ist», dass Peter K. erneut zu seinem Wohnhaus zurückkehrt und das Gewaltpotential höher sei, als bisher erwartet, gab man das Quartier frei. Gleichzeitig solle die Bevölkerung nicht in Panik geraten, es bestehe keine Gefahr. «Die Anwohner sollten aber die Augen offenhalten und auffällige Sachen melden.»
Niemand widerspricht Francois Gaudy angesichts der jetzigen Situationen, wenn er sagt, dass «die Geschehnisse sind für die Polizei wie die Bevölkerung schwierig sind». Niemand zweifelt daran, dass «die Polizei ihr Bestes gibt», wie Gaudy betont. Aber wenn er wirklich den «Unmut die Kritik an der Polizei versteht», stellt sich die Frage, wieso die Polizei nicht offensiver kommuniziert? Gaudys Bonmot «Polizeiarbeit ist nicht immer Sonneschein» mag stimmen, aber es ist keine Erklärung und vor allem keine Aussage, die Vertrauen schafft. Die Polizisten mögen keine «Übermenschen sein und langsam müde vom langen Einsatz». Das erklärt aber nicht, wie ein einzelner Mann zwei Tage lang über 100 von ausgebildeten Beamten und ganze Sondereinheiten narren kann. Vor allem ist es keine Erklärung, warum die Polizei «kein katastrophales Bild abgibt», wie Francois Gaudy überzeugt ist.
Wer ist Peter K.?
Der 67-Jährige gilt im Quartier als «komischer Kauz». Seit mehr als einem Jahr hat er sich gemäss Nachbarn in dem dreistöckigen Haus am Mon-Désirweg 9 mehr oder weniger eingeschlossen: Die Rollläden sind immer geschlossen, der Garten sei völlig verwildert. «Er hat manchmal mitten in der Nacht mit einer Stirnlampe auf dem Kopf den Rasen gemäht», sagte eine Nachbarin zu 20 Minuten Online. Peter K. soll seit seiner Geburt im Haus im Bieler Lindenquartier leben. Nun gehört es offenbar einer Erbgemeinschaft und sollte gemäss einem Entscheid des Zivilgerichts Biel zwangsversteigert werden.
Der Auslöser des «Amoklaufs»
Die Versteigerung soll gemäss den Behörden der Auslöser für den Zwischenfall sein: Gegen den 67-Jährigen war laut einem Bericht von «Schweiz Aktuell» ein fürsorgerischer Freiheitsentzug angeordnet worden. Er hatte offenbar mehrere Drohbriefe an die Behörden aufgrund der Zwangsversteigerung geschickt, weshalb er am Mittwoch zum Psychiater gebracht werden sollte.
Die Situation eskalierte am Mittwochmorgen, als der erste Besichtigungstermin für sein Haus anberaumt war. Beamte sollten den Mann aus dem Haus holen, als sie allerdings auftauchten, verschanzte er sich mit seinem Gewehr. In der Nacht auf Donnerstag stürmte er dann aus dem Haus und schoss einen Polizisten nieder. Peter K. konnte aber nicht gestellt werden und ist seither auf der Flucht. Der Beamte ist trotz einer schusssicheren Weste schwer verletzt worden. Nach einer Notoperation sei der Gesundheitszustand stabil.
Feedback
Hinweise, Anregungen oder Informationen? Mail an: feedback@20minuten.ch
Werden Sie Leser-Reporter

2020, Orange-Kunden an 079 375 87 39 (70 Rappen/MMS).
Mail:2020@20minuten.ch
Auch via iPhone und Web-Upload können Sie die Beiträge schicken. Wie es geht, erfahren Sie