AfghanistanKampf gegen Taliban statt gegen Drogen
Die Zerstörung von Mohnfeldern durch US-Soldaten in Afghanistan hat in der Vergangenheit die Opiumbauern in die Arme der Taliban getrieben. Nun ändern die USA ihre Strategie.
Unter Eseldung und altem Heu haben Spezialisten der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA in einem afghanischen Stall eine Opiumwerkstatt entdeckt. Das Gebäude liegt nahe der Stadt Mardschah, die sich im Zentrum der derzeitigen NATO-Offensive befindet. Der Besitzer muss sich aber keine Sorgen machen. Die US-Marineinfanteristen haben den Stall gemietet, ihn als Treibstofflager genutzt. Sie werden den Mann nicht der Justiz übergeben, sondern ihm Ende der Woche, wenn sie das Gebäude wieder verlassen, freundlich 600 Dollar Miete überreichen.
Der Fall zeigt, wie sich die Strategie der US-Streitkräfte verändert hat: Zwei Kilogramm Opium, fünf grosse Säcke mit Schlafmohn-Samen, Sicheln, Krüge und allerlei andere Utensilien sind nicht unbedingt ein Grund, jemanden ins Gefängnis zu werfen. Zu gross ist die Sorge des Westens, die örtlichen Bauern in die Hände der Taliban zu treiben. Und diese sind bei der derzeitigen Offensive das Ziel - alle anderen Wünsche müssen zurückstehen.
Kampf gegen Opium machte Bauern zu Taliban
Jahrelang hat die afghanische Regierung mit Unterstützung der USA versucht, die Mohnfelder zu vernichten, die als Rohstoff für die Opiumproduktion gebraucht werden. Doch dies hat immer wieder verarmte und aufgebrachte Bauern hervorgebracht, die schnell zum Sicherheitsrisiko wurden. Wenn ständig Militärkonvois in der Umgebung mit Sprengfallen angegriffen werden, haben die Drogenbekämpfer kein Interesse, durch eine harte Politik den Taliban zusätzliche Anhänger zu bescheren, die noch mehr Bomben bauen und Überfälle planen.
Mittlerweile werden die Opiumbauern in Ruhe gelassen, obwohl Afghanistan für weltweit 90 Prozent der Heroinherstellung verantwortlich ist. Allein in der Provinz Helmand wird fast die Hälfte davon angebaut. Eigentlich hätte auch nach der neuen Strategie der Besitzer des Stalls bestraft werden müssen. Offiziell soll zumindest gegen Heroin-Schmuggler und Labors vorgegangen werden. Doch für die US-Streitkräfte und die Drogenbehörde am Ort ist das eine Abwägungssache.
Angst vor aufgebrachten Zivilisten
Den Besitzer der Drogenküche im Stall hätten sie natürlich dingfest machen können, sagt ein DEA-Beamter, der sich als Joe vorstellt. Der Mann habe allein 250 Kilogramm Schlafmohnsamen besessen, um schnell wieder anbauen zu können, falls US-Soldaten seine Ernte vernichten sollten. «Doch dann kommt diese ganze Sache mit den Köpfen und Herzen mit ins Spiel», sagt der Beamte - und bezieht sich auf die offizielle US-Politik, afghanische Zivilisten besser nicht gegen sich aufzubringen.
«Natürlich gäbe es genug zu tun», sagt ein anderer US-Drogenbekämpfer, der sich nur Jack nennt. Vier Tage am Stück sind er und die Marineinfanteristen durch Mohnfelder getrottet. Allein dem örtlichen Stammesführer sollen rund zwölf Quadratkilometer davon gehören. Aber die US-Streitkräfte tun ihm nichts. Stattdessen wollen sie ihn als Verbündeten gewinnen.
Verdächtiger Drogenhersteller ist Vorsitzender des Rates
Am ehesten könnte man die Drogenhersteller noch den Stammesräten übergeben, meinen die DEA-Beamten. Dem wackeligen Justizsystem in Kabul vertrauen sie nicht. Doch was könne man schon tun, wenn der Besitzer der Drogenwerkstatt zugleich der Vorsitzende des örtlichen Ältestenrats sei?
«Ich hätte diesen Fall gerne untersuchen lassen», sagt Leutnant Scott Holub von der Marineinfanterie. Er verhandelte mit dem Scheunenbesitzer über die Miete. «Doch das würde sich nicht lohnen.» Kurz danach werfen die Soldaten die gefundenen Beweise auf einen Haufen und zünden ihn an.