GeschütztGeheimdienst hielt Hand über Bin Laden
Die CIA ist überzeugt: Osama Bin Laden hätte nie so lange unentdeckt in Pakistan leben können, wäre er nicht durch den dortigen Geheimdienst gedeckt worden.
«Entscheidende Teile» des pakistanischen Geheimdienstes ISI haben schon lange die Hand über den Terroranführer Osama Bin Laden gehalten. Das sagte ein hochrangiger Angehöriger des amerikanischen Auslandsnachrichtendienstes CIA am Mittwoch der Nachrichtenagentur dapd in Washington. In Kreisen des afghanischen Geheimdienstes NDS wird diese Einschätzung geteilt.
Der CIA-Mann sagte sogar, dass Osama Bin Laden seit dem Krieg gegen die sowjetischen Besatzer Afghanistans in den 1980er Jahren ein «Kind des ISI gewesen ist». Da könne sich die pakistanische Regierung gegen die Vorwürfe, dass ihr Geheimdienst Bin Laden gedeckt habe, noch so wehren. «Unsere Erkenntnisse sprechen eine andere Sprache», sagte der CIA-Angehörige.
Die US-Regierung habe hier aus «übergeordneten Gründen immer über die Vermutungen und Hinweise hinweggesehen», meinte der CIA-Mann weiter. Schliesslich handle es sich bei Pakistan um den wichtigsten Verbündeten der USA im Mittleren Osten. Washington habe daher stets «ein Auge zugedrückt». Hinzu komme, dass Pakistan eine Atommacht sei, also ein Staat mit Schwergewicht.
Bin Laden auch durch pakistanische Armee gedeckt?
In den Aussagen des CIA-Angehörigen klang noch ein weiterer Verdachtsmoment an. Osama Bin Laden wohnte im idyllischen Abbottabad im Orash-Tal. Das Städtchen wurde 1853 von einem britischen Major namens James Abbott gegründet und ist bis heute ein Garnisionsort geblieben. Viele pensionierte Offiziere zogen sich gern in ihre Häuser am Rande der Karakorum-Berge zurück.
In Abbottabad befindet sich neben Kasernen auch eine der wichtigsten Militärakademien Pakistans. «Wir haben jetzt ernst zu nehmende Hinweise, dass Bin Laden nicht nur durch den ISI, sondern auch durch Teile des pakistanischen Militärs geschützt worden ist», erklärte der CIA-Angehörige der dapd. Auch die pakistanische Armee sei «offenbar von Al-Kaida unterwandert».
Der pakistanische Botschafter in Washington, Husain Haqqani, sicherte der US-Regierung eine «vollständige Untersuchung» über die Frage zu, warum dem ISI der Aufenthalt von Bin Laden in seinem Land entgangen sei. «Offensichtlich hatte Bin Laden ein Unterstützungssystem», hatte Haqqani dem Sender CNN erklärt. Die Frage sei, «war es Unterstützung innerhalb der Regierung und dem Staat Pakistan, oder innerhalb der pakistanischen Gesellschaft». Es sei wohl eine Tatsache, «dass es Menschen gibt, die Bin Laden wahrscheinlich geschützt haben».
Ausschreitungen nach Freitagsgebet befürchtet
Aus Kreisen der CIA wurde die Vermutung geäussert, dass der Krieg in Afghanistan ziemlich schnell beendet werden könnte, wenn Al-Kaida und mit ihr die Taliban keinen «Nährboden» auf pakistanischem Gebiet mehr hätten. Das sei aber «leider eine Illusion».
Der afghanische Präsident Hamid Karsai rief derweil dazu auf, den Krieg gegen den Terror gegen die sicheren Häfen der Terroristen in Pakistan zu führen, gegen ihre Zufluchtsorte und Trainingslager. Auch in Geheimdienstkreisen hiess es, die Situation am Hindukusch würde sich «drehen», wenn es an der pakistanischen Grenze zu Afghanistan keine Rückzugsregionen für die Taliban mehr gäbe. Sie könnten von dort aus nicht mehr nach Afghanistan hinein operieren.
Bei den Geheimdiensten in Kabul und in Islamabad herrschte unterdessen die «grosse Besorgnis», dass es am Freitag zu ersten Racheaktionen der Al Kaida kommen könnte. «Wir befürchten nach dem Freitagsgebet in den Moscheen schwere Ausschreitungen der Islamisten», sagte in Kabul ein NDS-Angehöriger. Er erinnerte an die schweren Ausschreitungen Anfang April in Afghanistan nach einer Verbrennung des Koran in den USA.
Für die deutschen Soldaten am Hindukusch wurde nach dapd-Informationen inzwischen «erhöhte Wachsamkeit» angeordnet. Vor allem für den Raum Kundus gebe es «besondere Warnmeldungen», war in Berlin zu erfahren. Bereits am Dienstag war die Bundeswehr in der Region gleich drei Mal mit selbst gebauten Sprengfallen angegriffen worden. Dabei wurden drei Soldaten leicht verletzt.