Schweizer Armee-Skandale (V)Zwei Offiziere ausser Kontrolle
Die Schweizer Armee ist mit der Affäre Nef und dem Kander-Drama einmal mehr ins Zwielicht geraten. In einer Serie blicken wir zurück auf Skandale und Affären der letzten 50 Jahre. Heute: die Fälle Nyffenegger und Bellasi.
Im Januar 1996 sorgten das Militärdepartement (EMD) und die Bundesanwaltschaft mit einer Mitteilung für Aufsehen: Gegen einen pensionierten EMD-Beamten werde wegen Korruption ermittelt. Es handelte sich um Oberst Friedrich Nyffenegger. Einen Monat später legten die Behörden nach: Die Untersuchungen hätten den Verdacht auf Bestechung, finanzielle Unregelmässigkeiten und Veruntreuung von Material erhärtet. «Die Deliktsumme beläuft sich auf mehr als eine Million Franken», behauptete Bundesanwältin Carla Del Ponte.
Was war geschehen? 1988 war Oberst Nyffenegger mit der Organisation der «Diamant»-Feiern zum 50. Jahrestag der Mobilmachung zu Beginn des Zweiten Weltkriegs beauftragt worden. Dabei wurden finanzielle Unregelmässigkeiten festgestellt. Ein weiteres Projekt, das Nyffenegger betreute, war der «Elektronische Behelf für den Generalstabsdienst». Eines der wichtigsten Reglemente der Schweizer Armee sollte von Papier auf CD-ROM transferiert und mit geheimen Daten angereichert werden.
Der Oberst soll es dabei mit der Geheimhaltung nicht allzu genau genommen haben, so der Vorwurf. Weil der Verbleib von zwei CDs ungeklärt blieb, war gar von «Landesverrat» die Rede. Eine von EMD-Vorsteher Adolf Ogi in Auftrag gegebene Untersuchung ergab im August 1996, dass «fehlende Kontrolle und fehlende Führung durch die Vorgesetzten» die Affäre Nyffenegger mitverursacht hatten. Generalstabschef Arthur Liener zog die Konsequenzen und ging in den vorzeitigen Ruhestand.
Weder Millionenbetrug noch Landesverrat
Friedrich Nyffenegger, der 41 Tage in Untersuchungshaft gesessen hatte, kam vor Gericht. Dabei zeigte sich: der von den Medien als «Mischler-Fritz» abgestempelte Ex-Oberst war weder ein Millionenbetrüger noch ein Landesverräter. Vor Bundesstrafgericht blieb eine Deliktsumme von gerade mal 45 000 Franken. Nyffenegger erhielt sechs Monate bedingt, vom Vorwurf der Bestechung wurde er freigesprochen.
Der vermeintliche Landesverrat endete im Juli 2000 vor dem Militärappellationsgericht mit einer Zusatzstrafe von vier Monaten bedingt – Nyffenegger hatte lediglich in einem Fall militärische Geheimnisse verletzt. In die Kritik geriet Carla Del Ponte, die inzwischen zur Chefanklägerin am UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag befördert worden war. Sie hatte sich nicht zum ersten Mal zu weit aus dem Fenster gelehnt.
Neun Millionen unterschlagen
Weniger glimpflich kam ein anderer Offizier davon. Im August 1999 stiessen Beamten im neu Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) genannten Ex-EMD auf ein «Vermögensdelikt von gravierendem Ausmass». Beim Beschuldigten handelte es sich um Dino Bellasi, den ehemaligen Rechnungsführer der Untergruppe Nachrichtendienst – jener Abteilung, die mit den Affären um Oberst Bachmann und die Geheimarmee P-26 für Schlagzeilen gesorgt hatte.
Es zeigte sich, dass Bellasi seit 1994 bei der Nationalbank fast neun Millionen Franken in bar bezogen hatte, mit so genannten Vorschussmandaten. Die Bezüge gingen sogar noch weiter, nachdem er im Herbst 1998 den Dienst quittiert hatte. Bellasi tischte den Behörden eine abenteuerliche Version auf: Er habe mit dem Geld auf Befehl seiner Vorgesetzten einen Schatten-Nachrichtendienst aufgebaut, der wie einst die P-26 ausserhalb der politischen Kontrolle agieren sollte. In der Region Bern fanden die Behörden tatsächlich ein von Bellasi angelegtes Waffenarsenal.
«Glasnost im Pentagon»
Bundesrat Adolf Ogi wollte Führungsstärke zeigen. Er versprach «Glasnost im Pentagon» und beurlaubte Geheimdienstchef Peter Regli. Doch schon bald zeigte sich, dass es keine Spur vom vermeintlichen Parallel-Geheimdienst gab. Die Behörden kamen zum Schluss, dass der gestrauchelte Ex-Hauptmann den grössten Teil des Geldes für seinen «aufwändigen Lebensstil» verwendet hatte. Das Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern verurteilte Dino Bellasi im Februar 2003 zu sechs Jahren Gefängnis und stellte dabei ein «ganz erhebliches Mit- und Selbstverschulden des Bundes» fest.
Im Klartext: Wie im Fall Nyffenegger hatten die Kontrollen versagt. Weil Bellasi seit 1999 in Haft war, wurde er bereits wenige Monate später aus dem Gefängnis entlassen. Peter Regli wurde rehabilitiert, kehrte aber nicht in sein Amt zurück – er liess sich vorzeitig pensionieren. Die Fälle Nyffenegger und Bellasi waren letztlich auch Symptome einer Armee, die nach dem Ende des Kalten Krieges in eine Identitätskrise geraten war. Wirklich erholt davon scheint sie sich bis heute nicht zu haben.