Rücktritt von Merz«Politischer Kindergarten»
Dass Bundesrat Hans-Rudolf Merz zurücktritt, überrascht die Kommentatoren der Schweizer Zeitungen kaum - wohl aber, dass Merz noch vor Moritz Leuenberger geht.
In den Schweizer Zeitungen wird harsch kritisiert, dass Hans-Rudolf Merz noch vor Moritz Leuenberger geht. Merz diene damit nur seiner Partei, jedoch nicht den Interessen des Landes. Mit den beiden Wahlterminen im Oktober (Nachfolge Merz) und im Dezember (Nachfolge Leuenberger) stehe der Schweiz ein «verlorener Herbst» bevor, schreibt die «Berner Zeitung». «Ab jetzt bestimmen Postenschacher und politische Kuhhändel die Agenda.»
«Das Schlimme ist: Nach der Wahl eines Nachfolgers von Merz geht das Theater weiter, bleibt die Schweiz destabilisiert», meint die «Basler Zeitung» und beklagt, dass so die Sachpolitik zweitrangig bleibe.
Merz' wie Leuenbergers Rücktritt seien als «Zeichen der zurzeit im Bundesrat vorherrschenden Ich-Mentalität zu werten. Dienst am Land ist das nicht», schreibt auch der Winterthurer «Landbote».
Politischer Kindergarten
Der Kommentator der Neuenburger Zeitungen «L'Express» und L'Impartial» spricht von einem Verhalten im Bundesrat, dass an «Kindereien» erinnere. Ähnlich klingt es bei der «Basler Zeitung»: Merz' Amtskollege «Leuenberger will noch den Gotthard-Durchstich feiern und an die Klimakonferenz nach Cancun fahren und darum erst auf Ende Jahr zurücktreten. Im Interesse des Landes ist dies sicher nicht. Nur in seinem eigenen.»
Die «Aargauer Zeitung» spricht von einem «politischen Kindergarten»: «Es zeigt, dass es den beiden Bundesräten nur um zwei Dinge geht: die eigene Eitelkeit und die Parteitaktik». Und: «Würde den beiden Magistraten tatsächlich das Wohl des Landes am Herzen liegen (...), so wären beide zusammen zurückgetreten.» Für die «Zürcher Landzeitung» sind Rücktritte während der Legislatur «ein Unding»: «Die Zusammensetzung einer Regierung muss nach den Parlamentswahlen erfolgen, darauf haben die Wähler in einer Demokratie Anrecht.» Alles andere diene nur dem Machterhalt der Parteien.
FDP im Vorteil
Mit seinem Rücktritt bereits auf Oktober hat Merz seine Partei, die FDP, in eine gute Position gebracht. Diese habe gute Chancen, ihren zweiten Bundesratssitz zu halten. Die FDP könne nun die SP «disziplinieren», schreibt beispielsweise die «Neue Zürcher Zeitung». «Sollte die SP die FDP nicht unterstützen, muss sie im Dezember mit Vergeltung rechnen», meint auch der «Tages-Anzeiger». Damit sänken die Chancen der Grünen auf einen Bundesratssitz.
Auch aus Sicht der «Aargauer Zeitung» hat hat die SP nun für Dezember schlechtere Karten: «»Weil die FDP im Dezember ihren Sitz schon im Trockenen haben wird, kann sich die SP nur beschränkt auf die freisinnigen Stimmen verlassen.» Grüne, SVP oder CVP warteten bereits auf ihre Chance.
Dass Leuenberger und Merz die Interessen ihrer Parteien im Blick haben, stört die NZZ nicht: «Es kann den beiden derzeitigen Verliererparteien SP und FDP nicht übelgenommen werden, wenn sie nun - unmittelbar im Vorfeld des Wahljahres - ihr Schäfchen noch ins Trockene bringen wollen».
Sommarugas Chancen sinken
Allerdings sinken nach Ansicht mehrerer Kommentatoren die Chancen von SP-Ständerätin Simmonetta Sommaruga auf einen Sitz im Bundesrat. Denn in der FDP stehen derzeit zwei Namen im Fordergrund für die Merz-Nachfolge: Nationalrat Johann Schneider-Ammann und die St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter.
«Simonetta Sommarugas Chancen sänken sowohl bei der Wahl eines Berners (Schneider-Amann) als auch bei jener einer Frau», stellt unter anderem das «Bieler Tagblatt» fest. «Und der SP bleibt nichts anderes übrig, als die Faust im Sack zu machen», konstatiert die «Neue Luzerner Zeitung».
Allerdings würden die meisten es begrüssen, wenn erstmals in der Geschichte die Frauen im Bundesrat die Mehrheit stellten, darunter der «Landbote»: Schliesslich sei das Land «über lange Zeit von Männermehrheiten» regiert worden.
Für die NZZ ist aber klar, dass die neuen Regierungsmitglieder erst einmal nur für ein Jahr gewählt werden. Nach den Wahlen 2011 solle «die Vereinigte Bundesversammlung endlich wieder zu einer stabilen Regierungszusammensetzung zurückfinden», fordert sie.
Auch die «Südostschweiz» wünscht sich stabilere Verhältnisse und legt deshalb SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey auch gleich den Rücktritt ans Herz. «Dann könnte im Wahljahr 2011 ein runderneuerter Gesamtbundesrat mehr oder weniger unbeeindruckt vom Parteiengezänk frisch ans Werk gehen.»
(sda)