Affäre Gaddafi«Wenn die Geiseln nicht zurückkommen ...»
Es hängt ein Damoklesschwert über dem politischen Schicksal von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz. Sein unterzeichnetes Abkommen mit Libyen steht weiter in der Kritik. Falls die zwei von Libyen festgehaltenen Geiseln nicht freikommen sollten, wird es sehr schwierig für den Appenzeller.
Der Libyen-Deal von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz stösst im Bundesrat auf wenig Begeisterung. Die umstrittene Entschuldigung in der Affäre Gaddafi werde im Kollegium zur Sprache kommen, kündigten Eveline Widmer-Schlumpf und Doris Leuthard am Wochenende an.
Kritik von Widmer-Schlumpf ...
Beide Bundesrätinnen gaben in Interviews zu verstehen, dass das Schicksal der Schweizer Geiseln im Zentrum des Interesses stehe. Ob die zwei Schweizer Libyen nun wirklich verlassen dürfen, ist aber weiter offen. «Wenn die Geiseln nicht zurückkommen, dann wird es politisch ganz schwierig», sagte Widmer-Schlumpf.
Die Justizministerin äusserte in der Zeitung «Sonntag» rechtliche Bedenken zum Abkommen, das Merz in Tripolis unterzeichnete. Skeptisch beurteilt sie insbesondere das geplante unabhängige Schiedsgericht, das die Affäre um die Festnahme des Gaddafi-Sohns Hannibal in Genf untersuchen soll.
»Die Genfer Polizei wurde in ihrem Kompetenzbereich tätig, die Genfer Regierung hat ihr korrektes Verhalten attestiert, und jetzt soll ein Schiedsverfahren im Kompetenzbereich der Kantone durchgeführt werden - und das erst noch im Ausland, in London», gab Widmer-Schlumpf zu bedenken.
... und von Doris Leuthard
Auch Wirtschaftsministerin Doris Leuthard sieht Diskussionsbedarf, wie sie gegenüber Schweizer Radio DRS erklärte. «Wir werden sicher im Bundesrat die Abläufe besprechen», sagte Leuthard in Anspielung auf das Kompetenzgerangel zwischen dem Finanzdepartement von Merz und dem Aussenministerium (EDA) von Micheline Calmy-Rey.
Weder Calmy-Rey noch die Direktion für Völkerrecht hätten den in Tripolis unterzeichneten Vertrag sichten können, hatte das EDA am Freitag verlauten lassen.
Beredtes Schweigen von Calmy-Rey und Couchepin
Die Aussenministerin, die sich mehr als ein Jahr lang um eine Beilegung des Streits mit Libyen bemüht hatte, hüllte sich am Wochenende in beredtes Schweigen.
Wichtig sei, dass die beiden Schweizer endlich ausreisen könnten, gab sie der «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche» zu verstehen. Andere Fragen zum Thema wollte sie nicht beantworten. «Ich sage dazu nichts weiter.»
Lob nur von Maurer
Ausdrückliches Lob erhielt Merz bislang nur von Verteidigungsminister Ueli Maurer. «Der Bundespräsident hat seine Sache gut gemacht», sagte Maurer gegenüber Radio DRS.
Keinen Support erhielt Merz dagegen von seinem Parteifreund Pascal Couchepin. «Ich kenne den Inhalt der Vereinbarung nicht und bin nicht in der Lage, eine Meinung zu äussern», wehrte Innenminister Couchepin eine Frage des Schweizer Fernsehens ab. Der Wortlaut des Abkommens ist seit Donnerstag öffentlich bekannt.
Umstrittenes Abkommen
Experten gehen davon aus, dass Merz zu dem Vertragsschluss gar nicht berechtigt war. Der Bundespräsident hat vorab repräsentative Aufgaben, er kann nicht ohne Delegation des Gesamtbundesrats ein Abkommen unterzeichnen.
Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) will den Fall in den nächsten Tagen unter die Lupe nehmen. KdK-Präsident Lorenz Bösch äusserte gegenüber «Mittelland-Zeitung» und «Südostschweiz» Verständnis für den Unmut der Genfer Regierung, die sich durch das Abkommen desavouiert sieht.
Hoffnung bei Geiseln
Die festgehaltenen Schweizer in Libyen sind derweil «vorsichtig optimistisch», dass sie nun ausreisen dürfen. Das sagte der Genfer SVP-Politiker Stéphane Valente, der in Mail-Kontakt mit den beiden Schweizern steht. Er lobte die Libyen-Reise von Merz als «mutige Tat».
Ex-SP-Nationalrat Jean Ziegler sprach dagegen von einer «weitgehend unverständlichen und stümperhaften Aktion». Es sei möglich, dass die Geiseln doch nicht in die Schweiz zurückkehren könnten, sagte Ziegler der «SonntagsZeitung». Denn ein Vertrag ohne Ratifikation durch Machthaber Muammar al-Gaddafi sei «nichts wert».
Schwaller: Noch viele Fragen offen
Der CVP-Bundesratsdkandidat Urs Schwaller zeigt ein gewisses Verständnis für das Vorgehen von Bundespräsident Merz. «Ich habe Verständnis für die menschliche Ebene, auf der Bundesrat Merz sein Vorgehen in der Libyen-Frage begründet», erklärte Urs Schwaller am Samstag am Rande des CVP-Parteitags. Allerdings seien für ihn viele Fragen offen, sagte der Ständerat.
Unklar sei für ihn etwa, wie das Schiedsgerichtsverfahren genau funktioniere und was das Urteil dann bedeute. Und es sei für ihn schon mit einem «bitteren Beigeschmack verbunden», dass man für einen Staatschef, der nicht für den Respekt der Menschenrechte berühmt sei, Prinzipien unserer Rechtsordnung und unseres Staatssystems zumindest ritze.
Brunner: «Diplomatie hat masslos versagt»
Im Gegensatz zu Bundesrat Ueli Maurer hat SVP-Präsident Toni Brunner am Samstag in seiner Eröffnungsrede vor den Delegierten in Chur die Reise von Bundespräsident Merz nach Libyen scharf kritisiert. Die Bevölkerung könne nicht nachvollziehen, was hier abgehe.
Brunner fragte sich, warum Hans-Rudolf Merz überhaupt nach Tripolis gereist sei, wenn er nicht einmal vom libyschen Staatschef empfangen werde. Merz habe sich voreilig entschuldigt und sei erst noch ohne die zwei Schweizer Geiseln nach Hause zurückgekehrt.
Gemeindepräsident: «Mutige Tat» von Merz
Merz hatte am Donnerstag in Tripolis eine Vereinbarung unterzeichnet, welche die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen wiederherstellen soll. Im Vordergrund steht zunächst aber, dass die zwei Schweizer Geiseln endlich ausreisen und in die Schweiz zurückkehren dürfen. (sda/dapd)