Das Millionenheer der Kriegerwitwen

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IrakDas Millionenheer der Kriegerwitwen

Drei Jahrzehnte der Kriege, der Massaker und erbitterten Glaubenskriege haben im Irak rund eine Million Frauen zur Witwe gemacht.

Hamza Hendawi
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Hamza Hendawi
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Die Zahl der verwitweten Frauen im Irak ist über eine Million gestiegen.

Die Zahl der verwitweten Frauen im Irak ist über eine Million gestiegen.

Hamida Ajed, 45 Jahre alt, drei Kinder, ist eine der Schwestern im Leid, die um das Überleben ihrer Familie kämpfen müssen. Den über 100.000 Frauen, die ihre Männer beim Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten und bei den blutigen Unruhen danach verloren, ist die Regierung keine grosse Hilfe.

Ajed stehen von Staats wegen 150.000 Dinar (rund 100 Euro) monatlich zu, plus 15.000 Dinar (rund zehn Euro) für jedes Kind. Doch nachdem sie jetzt zwei Jahre lang hinter Dokumenten und Unterschriften für ihren Antrag hergerannt ist und niemanden an höherer Stelle kennt, der ihr behilflich sein könnte, gibt sie jetzt auf. Vor lauter Anstehen habe sie keine Zeit mehr für ihre Kinder im Alter von zehn, zwölf und 15 Jahren, sagt sie.

«Das haben wir jetzt davon»

So schlägt sie sich mit dem Verkauf von Naschereien und Getränken in der eigenen Wohnung in einem schiitischen Viertel im Süden Bagdads durch. Aus einer sunnitischen Gegend kommend, ist sie nach dem Tod ihres Mannes während der Morde an Andersgläubigen dorthin gezogen. «Unser Leben ist Elend und Verzweiflung geworden», sagt sie. «Das haben wir jetzt von der Besatzung und den Träumen von Demokratie: Waisen, Witwen, Obdachlose, Vertriebene und Flüchtlinge.»

Nahdah Hamid leitet das Fürsorgeamt für Frauen. Sie schätzt die Zahl der Witwen auf rund eine Million. Obwohl die Gewalt abgeflaut ist, führen Schiessereien und Bombenanschläge immer wieder dazu, dass die Schar weiter wächst. Schon vor der US-Invasion hatte das 27 Millionen Einwohner zählende Land einiges hinter sich: den Krieg gegen den Iran 1980 bis 1988, den Golfkrieg 1991 und die brutalen Feldzüge Saddam Husseins gegen Schiiten und Kurden in den 80er und 90er Jahren.

«Katastrophal grosse Zahl»

Die Witwen trifft man auf den Friedhöfen. Unter der sengenden Sonne sitzen sie im Staub neben den Gräbern ihrer Männer, schluchzend im Gedenken versunken. In ihrem Schatten klammern sich Kinder an ihre schwarzen Gewänder. Zu Hause müssen sich die Frauen um ihr eigenes Überleben kümmern und hinter Zuwendungen herlaufen, die hinten und vorn nicht reichen. Wie Ajed geht es vielen.

«Wir haben eine katastrophal grosse Zahl Witwen», sagt Dschinan Mubarak, die ein Bildungs- und Berufsbildungswerk für Frauen leitet. «Das hat eine ernste soziale Dimension, und auch um die Waisen muss man sich sorgen.» Wie den Hinterbliebenen ohne Einkommen geholfen werden kann, beschäftigt Organisationen wie die von Mubarak ebenso wie den Staat.

2008 rief die Regierung das Fürsorgeamt für Frauen ins Leben. Die Behörde übernimmt nun allmählich die Auszahlung von Unterstützungsleistungen vom Ministerium für Arbeit und Soziales, das für Unfähigkeit und Korruption verschrien war. Doch Amtschefin Hamid beklagt, dass ihr die Mittel fehlen, um über die Hauptstadt hinaus zu wirken, und der Einfluss, um Reformen durchzusetzen und die Korruption in den für die Witwen zuständigen Ministeriumsabteilungen zu bekämpfen.

Land und Geld für die einen, nichts für die anderen

Es besteht ein grosser Unterschied zwischen den Frauen, die nach 2003 Witwe wurden, und denen, die ihre Männer in früheren Kriegen verloren. So hatte Saddam Hussein die Hinterbliebenen der Gefallenen des irakisch-iranischen Kriegs mit Grundstücken, Autos und grosszügigen Renten bedacht. Für die Witwen der zehntausenden Opfer von Saddams Kriegen gegen Schiiten, Kurden und politische Gegner im Allgemeinen gab es nichts.

Die Armut treibe manche Irakerinnen zur Prostitution, auch im benachbarten Jordanien und Syrien, wo viele irakische Flüchtlinge leben, berichten Frauenrechtlerinnen wie Mubarak. «Viele Nachbarn des Iraks beuten irakische Frauen aus», sagt Frauenrechtlerin Susan Kasim Kaschkul. Zudem ist der Heiratsmarkt für Witwen wie für Singles über 30 knapp, und Ehen zwischen Schiiten und Sunniten sind selten geworden. Die Wirtschaft kommt nicht in Gang, Wohnungen sind teuer. «Die Wirtschaftskrise ist die eigentliche Ursache aller Probleme der Frauen im Irak», findet Mubarak.

Frauenquote und Förderung

Die 40-jährige Iman Kasim aus Bagdad hat drei Kinder. Ihr Mann Kisrah al Hassani, ein pensionierter Textilarbeiter, wurde 2007 auf dem Nachhauseweg vom Markt bei einer Granatenexplosion getötet. Nach seinem Tod heiratete sie einen zehn Jahre jüngeren Bäcker, doch das ging nicht gut: Er schlug sie und ihre Kinder. Sie will sich scheiden lassen.

Trotzdem hat sie noch Glück gehabt. Sie bekommt eine Monatsrente von umgerechnet rund 70 Euro, weil ihr verstorbener Mann bei einer staatlichen Textilfirma gearbeitet hatte, und verdient als Schulhausmeisterin rund 150 Euro. Rund 50 Euro monatlich kostet der Strom von einem privaten Generator, die Miete ist hoch, und sie muss ihre Kinder ernähren. Kaufen könne sie nur «das Allernotwendigste», sagt Kasim.

Mubarak würde ihr zu gerne eine Stelle verschaffen, die ihrem Schulabschluss angemessen ist. «Ich wünsche mir ein Gesetz, das bei jedem neuen privatwirtschaftlichen Projekt einen Prozentsatz von Stellen qualifizierten Witwen vorbehält», sagt sie. «Ich wünsche mir auch ein Gremium, das Witwen beim Start von Kleinunternehmen fördert.»

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