Proteste im Iran«Bürgerjournalisten» hebeln das Regime aus
Die Protestbewegung im Iran entwickelt sich zum Lehrstück in Sachen Bürgerjournalismus. Die technisch versierte Jugend umgeht die Zensur des Regimes und stellt laufend Bilder, Videos und Infos ins Internet.
Die Herrschenden in Teheran blockieren Sites wie Twitter, Facebook und Flickr. Sie legen immer wieder das Mobilfunknetz lahm. Dabei stellen sie sich durchaus geschickt an. «Ihre Mechanismen sind ausgefeilter als manche, die man aus anderen Ländern kennt», sagte Bret Taylor, Mitbegründer und CEO des Netzwerks Friendfeed, zu CNN. Und dennoch gelingt es ihnen nicht, den Informationsfluss zu unterbinden. Immer wieder können die Anhänger der Opposition neues Material hochladen.
Der Frust bei den Machthabern ist offenkundig. Die berüchtigten Revolutionsgarden drohen mit «schwerwiegenden Strafen» für jene, die den Cyberspace zur «Anstiftung von Aufruhr» verwenden wollen. Augenzeugen berichten gemäss CNN, dass Polizisten in Zivil bei Kundgebungen der Opposition gezielt Jagd auf Leute mit Kameras und Handys machen. Offenbar mit wenig Erfolg. «An den Demonstrationen hat jeder zweite ein Handy in der Hand und knipst vor sich hin. Das ist unglaublich», sagte Antonia Rados, Korrespondentin des deutschen TV-Senders RTL, zu «Spiegel Online».
Proxy-Server und Plattformen
Die technisch versierte iranische Jugend findet laufend neue Wege, um die Zensur zu umgehen. Dazu gehören Instant-Messaging-Dienste wie Googletalk, die von Blockaden weniger betroffen sind als andere Sites. Auch der Kurznachrichtendienst Twitter lässt sich mit seinen diversen Zugangsmöglichkeiten nur schwer zensieren. Viele Iraner nutzen zudem Proxy-Server, die den Zugang ins Internet via Ausland ermöglichen und die Firewalls des Regimes umgehen.
Hilfe gibt es auch von der weltweiten Webgemeinde, die der iranische Opposition Plattformen zur Verfügung stellt. Neustes Beispiel ist die schwedische Tauschbörse Pirate Bay. Die Videoplattform YouTube solidarisiert sich gar offen mit der Protestbewegung und hat eigens eine Seite für Videos aus dem Iran eingerichtet: «YouTube ist ein bürgerbetriebenes Nachrichtenbüro geworden mit ungefilterten Videos direkt aus den Strassen von Teheran», heisst es im YouTube-Blog.
Problem mit der Echtheit
Beobachter sehen in den aktuellen Ereignissen im Iran einen Meilenstein in Sachen Bürgerjournalismus. Während Machthaber in früheren Fällen Proteste häufig unter Ausschluss der Öffentlichkeit unterdrücken konnten, werden sie nun durch die Internet-Aktivisten ausgehebelt. Das Ausmass der Kundgebungen und die Gewalt der Sicherheitskräfte lassen sich nicht mehr totschweigen. Die häufig belächelten Blogger und Online-Reporter werden zu ernsthaften Mitspielern.
«Eine völlig neue Symbiose von 'alten Medien' und bewusst und explizit parteiischen 'Bürgerjournalisten' hat sich innerhalb weniger Tage herausgebildet», schreibt «Spiegel Online». Problemlos ist diese Entwicklung nicht, denn die Echtheit der Bilder und Gerüchte lässt sich kaum überprüfen. Weil die Arbeit der ausländischen Journalisten im Iran massiv behindert wird, sind die Medien jedoch auf das Internet angewiesen. Bildagenturen bedienen sich bei Flickr, Fernsehsender bei YouTube. Meist wird auf die Unsicherheit und die Nicht-Überprüfbarkeit des Materials hingewiesen.
«Beide können nicht ohne einander»
In diesem Netzwerk funktionieren die «alten Medien» wie «Mutterschiffe, um welche die neuen Medien wie digitale Schnellboote herumflitzen», kommentiert die «Süddeutsche Zeitung». Sie würden die Informationsbruchstücke bündeln, ordnen und analysieren, um ein möglichst akkurates und verständliches Bild zu liefern, auf das sich wiederum die sozialen Medien beziehen. «Welche der beiden Medienformen nun die bessere ist, spielt gar keine Rolle mehr. Beide können nicht ohne einander.»