Präsident unter DruckAhmadinedschad kämpft um sein Überleben
Im Iran tobt ein handfester Machtkampf zwischen dem konservativen Establishment und dem Präsidenten. Im Zentrum steht sein liberaler möglicher Nachfolger.

Zwei Jahre nach seiner umstrittenen Wiederwahl muss Mahmud Ahmadinedschad erneut um seine Macht bangen. Seine konservativen Kritiker schrecken inzwischen vor nichts mehr zurück.
In den vergangenen Wochen ist es ruhig geworden um den iranischen Präsidenten. Mahmud Ahmadinedschad, der so gerne die internationale Bühne für Provokationen nutzt, ist derzeit innenpolitisch vollständig absorbiert. Der Argwohn, mit dem ihm das konservative Establishment seit seiner umstrittenen Wiederwahl 2009 begegnet, ist inzwischen erbitterter Anfeindung gewichen. Selbst der Gunst des obersten Führers Ali Chamenei kann er sich nicht mehr sicher sein. Beobachter spekulieren bereits über eine mögliche Absetzung.
Das konservativ dominierte Parlament hat angekündigt, sich einen Bericht seiner Budgetkommission näher anzusehen, der aufgrund seiner Brisanz seit zwei Jahren unter Verschluss liegt. Demnach soll Ahmadinedschad unmittelbar vor der Wahl 2009 neun Millionen Bürgern umgerechnet 70 Franken in Form von sogenannten «Gerechtigkeits-Aktien» überwiesen haben. Der kaum verhüllte Vorwurf – nicht der Opposition, sondern von seinen ehemaligen Verbündeten - lautet Wahlmanipulation.
«Israelis sind unsere Freunde»
Ausgangspunkt und Zentrum der Verwerfungen ist Esfandiar Rahim Mashaei, ein Schwager und enger Vertrauter des Präsidenten. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit wollte er ihn zu seinem ersten Vizepräsidenten machen, was einen Aufschrei unter den konservativen Kräften verursachte. Mashaei hatte ein Jahr zuvor durch eine höchst kontroverse Aussage von sich reden gemacht: Israelis seien «Freunde Irans» - was selbst Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi im Wahlkampf 2009 kritisierte – und die Amerikaner unter den «besten Nationen der Welt».
Staatsoberhaupt Ali Chamenei höchstpersönlich sah sich genötigt einzuschreiten und machte die Ernennung Mashaeis rückgängig. Ahmadinedschad beugte sich dem hohen Verdikt nur halbherzig und machte ihn stattdessen zu seinem Stabschef. Gerüchten zufolge will Ahmadinedschad ihn 2013 zu seinem Nachfolger im Präsidentenamt machen. Er selbst kann laut Verfassung nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.
Nationalistische Misstöne
Im August 2010 legte Mashaei nach und erklärte an einer Versammlung von Auslandiranern in Teheran, die «Ideologie Irans», und nicht die Ideologie des schiitischen Islams, müsse in die Welt getragen werden. Solch nationalistische Töne sind den Konservativen ein Gräuel, weil sie an den Schah erinnern, den sie 1979 gestürzt hatten. Zudem sehen sie ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt, Mashaei könnte als Präsident versuchen, den politischen Einfluss der Geistlichkeit zu beschneiden.
Nachdem der Streit lange Zeit unter der Oberfläche brodelte, kam es im April dieses Jahres zum Eklat: Ahmadinedschad feuerte seinen Geheimdienstminister Heyder Moslehi, dem er vorwarf, zusammen mit den Revolutionsgarden Mashaei zu bespitzeln und sogar dessen Büro verwanzt zu haben. Chamenei intervenierte erneut und setzte Moslehi wieder ein. Der Präsident weigert sich offenbar seither, an seinen eigenen Kabinettssitzungen zu erscheinen. Mashaei musste von seinem Posten als Stabschef zurücktreten.
Ahmadinedschad, der Abweichler
Von allen Seiten unter Feuer wagte Ahmadinedschad im Mai einen Befreiungsschlag. Im Rahmen einer Kabinettsumgestaltung übernahm er vorübergehend das wichtige Erdöl-Ressort. Am 8. Juni trifft sich das Erdölkartell OPEC zu seiner jährlichen Sitzung in Wien, an der üblicherweise die Erdölminister der Mitgliedsländer teilnehmen. Da dieses Jahr der Vorsitz an Iran fällt, wurde spekuliert und mancherorts befürchtet, Ahmadinedschad persönlich würde die Versammlung leiten.
Eine ideale Plattform für den iranischen Präsidenten, den Fokus auf sein Lieblingsthema Aussenpolitik zu verschieben. Dazu wird es laut Angaben des iranischen Aussenministeriums nicht kommen, das am Dienstag erklärte, der Präsident werde die OPEC-Sitzung weder leiten noch daran teilnehmen. Es ist anzunehmen, dass er erneut von Chamenei zurückgepfiffen worden ist.
Bisher konnte sich Ahmadinedschad halten und es ist zweifelhaft, ob Chamenei wirklich gewillt ist, ihn ganz fallen zu lassen. Zweifellos muss er sich seine nächsten Schritte gut überlegen. Nachdenklich sollte ihn stimmen, dass er und sein Gefolge in konservativen Kreisen inzwischen als «abweichende Strömung» bezeichnet werden. Wer im Iran in Ungnade fällt, wird üblicherweise nicht mehr mit seinem Namen, sondern einem wenig schmeichelnden Alias angesprochen. Die Führer der grünen Oppositionsbewegung heissen entsprechend «Anführer der Volksverhetzung» und die Volksmudschahedin «Heuchler».