Desaster in Japan«Andere grosse Erdbeben werden folgen»
Die japanischen Rettungskräfte kämpfen immer noch gegen die drohende Kernschmelze. Derweil ahnen Wissenschaftler böses.
Die Lage am Freitagmorgen:
Aus dem Reaktorblock 2 des japanischen Atomkraftwerks Fukushima ist am Freitag weisser Rauch aufgestiegen. Die Ursache war zunächst nicht bekannt, sagte ein Sprecher der japanischen Atomaufsichtsbehörde. Regierungssprecher Yukio Edano erklärte unterdessen, die Bekämpfung der Probleme im benachbarten Block 3 hätten die höchste Priorität.
Techniker des Kraftwerkbetreibers TEPCO versuchten, die Kühlanlagen an ein neues Stromkabel anzuschliessen und damit wieder zu starten. Dies sollte noch am Donnerstag gelingen, später hiess es, die Arbeiten mit dem Anschluss von zuerst Block 1 und dann Block 2 sollten am Freitag zum Erfolg geführt werden. Für Sonntag sei auch ein Anschluss der Reaktoren 3 und 4 geplant. Zunächst soll dort weiter mit Wasserwerfern und Helikoptern von aussen gekühlt werden. Am Morgen waren 130 Feuerwehrleute auf dem Weg zum Kraftwerk. Auch für Reaktor 1 wird eine Kühlung mit Wasser von aussen geprüft. Nach dem Manöver am Donnerstag sei die Intensität der radioaktiven Strahlung leicht zurückgegangen.
Der US-Fernsehsender CNN meldete, ein Dieselgenerator aus Block 6 versorge die Kühlsysteme für Abklingbecken in den Einheiten 5 und 6 mit Energie.
Gefährlicher Block 3
Zur Lage in Block 3, der hochgiftiges Plutonium enthält, sagte Regierungssprecher Edano, die Brennstäbe dort könnten teilweise ohne Wasserkühlung sein. Ohne genügend Wasser würden sie sich dann weiter erhitzen und möglicherweise erhöhte Strahlung abgeben. Unter Einsatz von Helikoptern und Löschfahrzeugen soll der Block weiter gekühlt werden. «Block 3 ist unsere höchste Priorität», sagte Edano.
Seit dem Erdbeben und Tsunami vor genau einer Woche waren vier der sechs Reaktoren Feuer, Explosionen oder teilweise Kernschmelzen ausgesetzt. Doch nicht nur von den Reaktoren geht Gefahr aus: Experten schätzen derzeit das Risiko durch trocken gefallene Abklingbecken für abgebrannte Brennstäbe sogar noch höher ein. In Block 4 droht das Becken zu überhitzen und todbringende Strahlung freizusetzen.
Amerikaner helfen
Der Regierungssprecher teilte mit, Japan habe ein Hilfsangebot der USA angenommen. Man koordiniere bereits mögliche Massnahmen. Zuvor hatte der Leiter der US-Militärhilfe für Japan, Admiral Robert Willard, erklärt, er habe der japanischen Regierung eine lange Liste mit Bereichen übergeben, in denen die US-Streitkräfte helfen könnten. 450 Fachleute der Streitkräfte für radiologisches und Katastrophenmanagement stünden für einen möglichen Einsatz in Japan bereit.
US-Experte: Kampf gegen GAU kann Wochen dauern
Der Vorsitzende der amerikanischen Atomaufsicht, Gregory Jazcko, sagte, es könne Tage und «möglicherweise Wochen dauern», den Atomkomplex unter Kontrolle zu bringen. Er verteidigte die Entscheidung, für US-Bürger einen Evakuierungsradius um Fukushima von 80 Kilometern zu empfehlen. Die japanischen Behörden haben eine Evakuierungszone von 20 Kilometern umgesetzt.
Gering erhöhte Strahlenwerte wurden am Donnerstag weit über Tokio hinaus gemessen, das 220 Kilometer südlich der Atomanlage liegt. Gefährlich hohe Werte wurden bisher nur in der Anlage selbst gemessen.
Eine Woche nach dem schweren Erdbeben und dem Tsunami korrigierten die Behörden erneut die Opferzahlen nach oben. Mehr als 16 600 Menschen seien tot oder vermisst, teilte die Polizei am Freitag mit. Der Tod von 6405 Menschen ist demnach bestätigt, von 10 259 Menschen fehlte jede Spur.
Die Zahl der Verletzten wurde mit 2409 angegeben. Die Befürchtung, dass auch die Vermissten tot sind, wird immer mehr zur Gewissheit. Die Folgen von Erdbeben und Wasserwalze, die steigende Atom-Gefahr und Eiseskälte setzen den obdachlosen Japanern immer heftiger zu.
Platzmangel in Notunterkünften
In Turnhallen ohne Heizung kauern Menschen eng aneinander, um sich gegenseitig Wärme zu spenden, wie der TV-Sender NHK zeigte. Bilder aus dem stark zerstörten Nordosten zeigten frierende Menschen, die Holz oder ähnlichen Brennstoff in Tonnen verfeuerten. Etwa eine halbe Million Menschen soll derzeit obdachlos sein.
Gemäss NHK sind mindestens 25 schon gestorben. Sie seien meist alt und total entkräftet gewesen - womöglich wären sie ohne den Kälteeinbruch noch am Leben. Neben dem Problem mit der Kälte fehle es weiterhin an Trinkwasser und Essen.
Die Flüchtlinge in den Notunterkünften der Unglücksprovinz Miyagi wurden aufgefordert, auf die benachbarten Präfekturen auszuweichen. Grund sei der akute Platzmangel in den Notunterkünften, wie Kyodo berichtete. Eine ähnliche Aufforderung hatte es bereits in der Präfektur Fukushima gegeben. (sda/dapd)