Japans AtomanlagenTote Arbeiter und vertuschte Unfälle
Bereits vor Fukushima war es in japanischen Atomanlagen zu zahlreichen Störfällen gekommen. Experten warnen seit Jahren vor mangelhaften Kraftwerken.
Mit Tky Denryoku geht es steil bergab: Die Tokioter Börse musste den Handel mit der Aktie des Unternehmens, das nach der Abkürzung seines englischen Namens (Tokyo Electric Power Company) nur Tepco genannt wird, am Montag stoppen. Panikartig hatten die Anleger versucht, das Papier loszuwerden. Die schwere Havarie im Atomkraftwerk Fukushima I droht den ohnehin beschädigten Ruf der Firma endgültig zu zerstören.
Tepco ist der grösste Stromversorger Asiens und einer der grössten Energiekonzerne der Welt. Das 1951 gegründete Unternehmen betreibt neben Wasser- und Wärmekraftwerken auch drei Atomkraftwerke (Fukushima I und II sowie Kashiwazaki-Kariwa) mit insgesamt 17 Reaktorblöcken. Seit Jahren steht das Unternehmen wegen seiner Informationspolitik in der Kritik. Im August 2002 hatte die Regierung bekannt gegeben, dass Tepco über Jahre hinweg Sicherheitsberichte gefälscht und 29 «Vorfälle» in seinen Anlagen vertuscht hatte.
Reaktoren abgeschaltet
Die Konsequenzen waren einschneidend: Alle 17 Tepco-Reaktoren wurden abgeschaltet und teilweise erst nach mehreren Jahren wieder hochgefahren, oft gegen den Widerstand der lokalen Bevölkerung. Fünf Mitglieder der Konzernleitung mussten zurücktreten. 2006 und 2007 wurde Tepco erneut vorgeworfen, Daten über die Kühlwassertemperatur in den Reaktoren gefälscht zu haben. Das Unternehmen gab zu, den Behörden Risse in Wasser- und Dampfrohren sowie das Austreten radioaktiven Dampfes verschwiegen zu haben.
Ein schwerer Störfall ereignete sich im Juli 2007 in Kashiwazaki-Kariwa, dem grössten Atomkraftwerk der Welt mit einer Leistung von 8,2 Gigawatt. Nach einem Erdbeben der Stärke 6,6 war radioaktives Wasser aus einem Becken ins japanische Meer geschwappt. Eine Untersuchung ergab rund 50 Defekte als Folge des Bebens, die von Tepco nicht gemeldet worden waren. Das Riesenkraftwerk wurde für knapp zwei Jahre vom Netz genommen. Anwohner klagten erfolglos gegen die Betriebsbewilligung.
Schwindende Akzeptanz
Die Vorfälle in Fukushima nach dem katastrophalen Beben und dem Tsunami vom letzten Freitag werfen erneut ein schiefes Licht auf die Tepco-Führung. Einmal mehr wirkt die Informationspolitik dürftig, die Konzernleitung verschanzt sich hinter der Regierung. Dabei war das Misstrauen der Japaner gegenüber der Atomenergie schon vor den jüngsten Ereignissen gross. Umfragen zeigen eine seit Jahren schwindende Akzeptanz.
Die historische Erfahrung mit den Atombomben von Hiroshima und Nagasaki spielt dabei eine wichtige Rolle, doch auch in «zivilen» Nuklearanlagen gab es Tote: 1999 starben zwei Arbeiter in der Wiederaufbereitungsanlage Tokaimura, weil Sicherheitsvorschriften krass missachtet wurden. Mehr als 600 Menschen wurden verstrahlt. 2004 wurden vier Arbeiter in der Atomanlage Mihama durch explosionsartig austretenden Wasserdampf getötet, sieben weiter erlitten teils schwerste Verbrennungen. Radioaktivität wurde keine freigesetzt.
Zu wenig robust gebaut
Experten warnen seit Jahren vor den «fatalen Mängeln» japanischer Atomanlagen. Der Seismologe Katsuhiko Ishibashi von der Universität Kobe betonte laut dem «Guardian» schon 2007, dass die Atomkraftwerke bei grossen Erdbeben «sehr verwundbar» seien. Das Problem reiche 40 Jahre zurück, in die Anfänge des japanischen Atomprogramms. Damals sei die Erde relativ ruhig gewesen, die Kraftwerke seien deshalb zu wenig robust gebaut worden. Erst nach dem schweren Beben 1995 in Kobe wurden die Anforderungen verschärft.
Trotz aller Widerstände und Bedenken haben Japans Regierungen stets eisern am Atomstrom festgehalten (siehe Infobox). Die Katastrophe von Fukushima könnte den weiteren Expansionsplänen einen Strich durch die Rechnung machen.
Japan setzt auf Kernenergie
Japan ist das einzige Land, das jemals von Atombomben getroffen wurde und den Alptraum großflächiger Verstrahlung durchlebt hat: Dennoch setzt die rohstoffarme Wirtschaftsnation bei der Energieerzeugung auf Nuklearenergie. Neben Kohle und Erdgas deckt Kernkraft rund ein Drittel des Strombedarfs. Japan hat 17 Atomanlagen mit 55 Reaktoren im ganzen Land und steht damit an dritter Stelle hinter den USA und Frankreich. Weitere AKW sind im Bau oder in Planung. Dazu kommen etwa 50 Versuchsreaktoren.
Die Regierung will den Anteil der Kernenergie bis 2017 auf 40 und bis 2030 sogar auf 50 Prozent erhöhen. Mit der vermeintlich sauberen Kernenergie soll nicht zuletzt der CO2-Ausstoss gesenkt werden. Diese Strategie ist nun in Frage gestellt.
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