«Wer fotografiert seine Tochter nackt mit einer Peitsche?»
Max Edelbacher, ehemaliger Kripo-Chef von Wien, leitete im Jahr 1998 die polizeilichen Ermittlungen im Fall Kampusch. Edelmann glaubt, dass die kleine Natascha schon vor ihrem achtjährigen Martyrium zum Sex gezwungen wurde. Gegenüber 20minuten.ch erklärt er, weshalb er speziell gegen die Eltern Kampusch grosse Verdachtsmomente hegte.
Als Leiter des Sicherheitsbüros war Max Edelbacher von 1998 bis ins Jahr 2002 zuständig für die Ermittlungen im Fall Kampusch. Im Gespräch mit 20 minuten.ch erinnert sich der inzwischen pensionierte Kriminalpolizist an die ersten Tage rund um Natascha Kampuschs Verschwinden.
Herr Edelbacher, wie war das, als sie von der vermissten Natascha Kampusch zum ersten Mal hörten?
Als wir im Jahre 1998 über das Ausbleiben der kleinen Natascha
informiert wurden, klingelten sofort die Alarmglocken. Wir wurden von
der Mutter über das Wegbleiben ihrer Tochter informiert. Die Mutter kam mit
ihrem Schwiegersohn, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Obwohl
Natascha erst einen Tag verschwunden war, spürten wir instinktiv,
dass sich das zu einer ganz grossen Sache entwickeln würde.
Wie verhielten sich die Eltern?
Wir waren nicht sehr glücklich mit den Eltern von Natascha. Der
Vater gab sich dem Alkohol hin, die Mutter ständig wechselnden
Männern. Sie kamen uns seltsam vor.
Woher kam dieses Misstrauen?
Das Misstrauen wurde noch grösser, nachdem diese Fotos aufgetaucht waren. Die Bilder von Natascha Kampusch zeigten eindeutig sexuelle
Auffälligkeiten. Natascha war darauf in «Baby-Doll»-Posen zu sehen.
Können Sie die Bilder genauer beschreiben?
Auf einem Bild war sie fast nackt, lediglich mit Stiefeln, Reitgerte
und einem kurzen Top bekleidet, das ihr nur bis zum Bauchnabel
reichte. Auf einem anderen lag sie ebenfalls nackt in einer falschen
Pelzstola eingewickelt auf einem Bett.
Was dachten Sie, als Sie die Bilder sahen?
Wir fragten uns natürlich sofort, welche Eltern fotografieren ihr
zehnjähriges Kind in solchen Posen, nackt mit einer Reitpeitsche.
Was hatte die Familie für eine Erklärung?
Die Bilder seien aus Jux
entstanden, erklärten die Kampuschs. Nataschas Schwester habe sie
angeblich gemacht.
Glaubten Sie den Eltern?
Für mich waren starke Anzeichen vorhanden, dass ein
sexueller Missbrauch vorliegt. Wir ermittelten im engsten familiären Umfeld von Natascha.
Was ermittelten Sie genau?
Wir klärten den Verdacht ab, ob der
Vater seine Tochter missbraucht haben könnte. Wir untersuchten
ausserdem, ob sich einer der verschiedenen Liebhaber der Mutter an
die kleine Natascha herangemacht hat.
Mit welchem Resultat?
Wir konnten nichts beweisen.
Wann hatten Sie zum ersten Mal mit Wolfgang Priklopil, dem Entführer Nataschas, zu tun?
Die Polizisten befragten den Mann, der Natascha acht Jahre lang in seinem Kellerloch einschloss, zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Ermittlungen.
Weshalb?
Ein Mädchen hatte gesehen, wie Natascha
in einen Bus gezerrt worden war. Konnte sich aber das Kennzeichen
nicht merken. Wir klärten sämtliche Halter dieses Fahrzeugtyps ab.
Insgesamt 776 Fahrer dieses Wagentyps. Priklopil war einer davon.
War Ihnen nicht aufgefallen, dass Priklopil in nächster Nachbarschaft wohnte?
Die unmittelbare Nähe seines Wohnorts zum Ort von Nataschas Verschwinden
war für uns nicht Indiz genug. Kein Richter hätte einen Hausdurchsuchungsbefehl unterschrieben. So mussten wir seinen Aussagen
Glauben schenken.
Herr Edelbacher, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Hansi Voigt, 20minuten.ch
Max Edelbacher (62), ehemaliger oberster Ermittler der Polizeigruppe, die sich um den Fall kümmerte, ist der Kronzeuge der beiden Journalisten Michael Leidig und Allan Hill, die den Fall Kampusch in einer ersten, unauthorisierten Biografie aufrollen. Im Buch berichten die Journalisten, wie die Scheidungsprobleme der Eltern die zehnjährige Natascha seelisch stark belastet haben sollen. Edelbacher glaubt sogar, dass bereits die zehnjährige Natascha Kampusch missbraucht worden war. Also bereits bevor sie in die Fänge des Wolfgang Priklopril geriet. Rückblickend bemängelt er insbesondere die Fahndungsmethoden: «Die Männer im Umfeld der Mutter, besonders solche, die Kontakt zu Natascha gehabt haben, hätten sorgfältiger untersucht werden müssen.»
Kampuschs Anwälte wollen die Veröffentlichung der Biografie mit allen Mitteln verhindern.