Streitgespräch«Das Kopftuch ist wie ein Türschloss»
Der Islam ist eine Quelle für die Unterdrückung der Frauen, glaubt die eine. Für die andere ist er Hort der Menschlichkeit. Wenigstens einen Teil des Problems orten Alt-Feministin Julia Onken und die strenggläubige Muslima Sara am selben Ort: bei den Männern.
20 Minuten: Frau Onken, hätten Sie gedacht, dass Sara eine emanzipierte Frau ist, wenn Sie ihr zufällig auf der Strasse begegnet wären?
Julia Onken: Ich schliesse nicht direkt von Äusserlichkeiten auf das Wesen eines Menschen. Dass Sara ein Kopftuch trägt, ist für mich überhaupt kein Problem. Wenn ich Sie Einkaufstüten stemmend im Schlepptau Ihres Ehemannes gesehen hätte, wäre ich vermutlich nicht darauf gekommen, dass Sie eine Feministin sind. Allerdings frage ich mich die ganze Zeit: Schwitzen Sie nicht unter dem Kopftuch?
Sara: Ich habe mich daran gewöhnt, ich schwitze nicht. Meine Kopfbedeckung gibt mir eine Art von Würde. Sobald ich ein Kopftuch trage, kann ich davon ausgehen, dass ich nicht mehr nach dem Äusseren beurteilt werde. Es ist auch ein Signal an die Umwelt: «Ich bin eine Frau, ich habe meine Würde, meine Werte. » Und ich sage den Männern damit: «Seht her, ich bin gleich viel wert wie ihr. Behandelt mich entsprechend.» Zusätzlich erinnert mit das Kopftuch stets an meine Werte und daran, dass ich mit meinen Mitmenschen respektvoll umgehe.
Onken: Das leuchtet mir alles ein. Ich sehe das aus einer ganz anderen Perspektive. Bei uns am Frauenseminar hat eine Gruppe von Frauen ein Tag lang ein Kopftuch angezogen und ihre Erfahrungen damit notiert. Alle beschrieben ein Gefühl der Unfreiheit, von Einschränkung der Sinneswahrnehmung, da das Blickfeld eingeschränkt und die Ohren bedeckt sind. Das entspricht überhaupt nicht meiner Vorstellung vom Menschsein. Es muss doch möglich sein, dass ein Mann Sie respektiert, wie auch immer.
Sara: Genau, aber dann muss man bei den Männern anfangen.
Onken: Richtig. In unserem Kulturkreis hat man das ja einigermassen hingekriegt. Auch Männer sind lernfähige Wesen. Mein Schäferhund ist beispielsweise sehr wohl in der Lage, neben mir zu sitzen, während ich ein Salamibrötchen esse. Er sitzt da und der Geifer tropft ihm aus dem Maul. Ich sage: Sitz! Und er bleibt sitzen. Wenn das bei einem Schäferhund möglich ist, dann muss es auch Männern möglich sein, sich in Gegenwart einer Frau beherrschen zu können, auch wenn sie ihn vielleicht erotisch stimuliert.
Sara: Wenn das so wäre, bräuchten wir das Kopftuch nicht.
Onken: Das ist das Ziel meiner Arbeit, dass man die Frau nicht wie eine Schwarzwäldertorte ansieht, in die man reinbeissen kann. Frauen sind Menschen, die respektiert werden müssen, wie auch immer: Auch im Minirock oder tief dekoltiert.
Sara: Das sehe ich auch so. Aber ich glaube nicht, dass sich das ändern wird. Wenn wir nachher diesen Raum verlassen, ist das erste, was wir zu Gesicht kriegen, ein Plakat mit einer Frau. Werbung funktioniert ohne Frauen gar nicht. Im Koran heisst es, die Männer sollen ihren Blick senken und den Frauen auf der Strasse nicht nachschauen, um ihnen ihre Würde zu lassen.
Onken: Wir können die Würde der Frau aber nicht beschützen, indem wir sie einfach einpacken. Man muss den Männern beibringen, dass er die Frau zu akzeptieren hat, wie auch immer.
Sara: Der Mann fühlt sich nun mal von Frauen angezogen, das ist eine biologische Tatsache. Mit dem Kopftuch ist es so wie mit einem Türschloss. Wir schliessen die Tür ab, nicht weil wir denken, dass die ganze Welt draussen von Dieben wimmelt, sondern zu unserem eigenen Schutz. Würden wir davon ausgehen, dass niemand in unserer Gesellschaft ein Dieb ist, würden wir auch nicht die Tür abschliessen. Genauso verhält es sich mit dem Kopfttuch.
Onken: Aber Sie stellen alle Männer unter Generalverdacht! Mein Partner fühlt sich beleidigt, wenn er einer Frau mit Kopfttuch begegnet, weil er sich sagt: Die meint, dass auch ich sofort über sie herfallen würde, wenn sie das Kopftuch nicht anhätte.
Befürworterin des Minarett-Verbots: Julia Onken
Die Thurgauerin Julia Onken ist Psychologin, Psychotherapeutin und Autorin. Nach ihrer Scheidung hat sie 1987 das Frauenseminar Bodensee gegründet und begann zu schreiben. Ihre Sachbücher und Ratgeber wurden zu Bestsellern. Vor Kurzem hat die Alt-Feministin sich ins Gespräch gebracht mit ihrem Aufruf an Schweizer Frauen, für das Minarett-Bauverbot zu stimmen.
Muslima mit Kampfgeist: Sara
Sara ist 28 Jahre alt und wohnt in Zürich. Sie will nicht, dass man ihren Familiennamen nennt, um ihre Familie zu schützen. Seit Sara 16 Jahre alt ist, bedeckt sie ihr Haar. Ihre Eltern stammen aus Pakistan. Sara ist in Zürich geboren und hat einen Schweizer Pass. Die Mutter hat sie das Lesen und Verstehen des Korans gelehrt. Sara betet fünfmal täglich. Sie fordert Integration von allen Muslimen, die in der Schweiz leben. Sie findet, dass alle Einwanderer mindestens eine Landessprache beherrschen müssen. Über ihr Kopftuch sagt die 28-Jährige: «Die Leute denken, mit dem Kopftuch unterstütze ich die Unterdrückung der Frau.» Sara ist Studentin und unterrichtet neben dem Studium Englisch.