«Bloss kein Skandal»

Aktualisiert

Pädophile Priester«Bloss kein Skandal»

Was taten die geistlichen Behörden in der Vergangenheit, wenn ein Priester sich an Kindern vergangen hatte? Man schickte ihn ins Ausland. Die «geografische Behandlung» sollte Skandale fernhalten.

von
Bradley Brooks und Alessandra Rizzo
AP

Das war er, der Priester, der Joe Callander vor über 50 Jahren in Massachusetts Gewalt angetan hatte. Das Foto in dem katholischen Mitteilungsblättchen zeigte ihn lächelnd mit halbnackten Indianerkindern im Arm: Der Pater arbeitete in Brasilien mit Kindern und leitete andere Geistliche an.

Das ist kein Einzelfall. Bei Recherchen in 21 Ländern auf sechs Kontinenten stiess die Nachrichtenagentur Associated Press auf 30 Fälle von Priestern, denen Missbrauch vorgeworfen wurde und die versetzt oder ins Ausland geschickt wurden. Manche entgingen der Strafverfolgung. Viele hatten an anderem Ort wieder mit Kindern zu tun, und einige vergriffen sich wieder an ihnen.

«Wenn ein Priester in Schwierigkeiten kommt, und es droht ein Skandal oder die Justiz könnte eingeschaltet werden, dann schicken sie ihn in der Regel ins Ausland», sagt der frühere Benediktinermönch Richard Sipe. Er kritisiert die Praxis des internationalen Verschiebebahnhofs nach dem Motto: «Bloss keinen Skandal.»

Kirchenvertreter erklären, in einigen Fällen seien die Priester von selbst in ein anderes Land gezogen, und die neue Gemeinde habe möglicherweise nichts von den vorangegangenen Vorwürfen gewusst. In anderen Fällen wird die Anschuldigung zurückgewiesen beziehungsweise hervorgehoben, dass der Betreffende seine Strafe verbüsst und sich geändert habe.

Ein neues Leben im Dschungel

Callander wurde 1959 als 14-Jähriger an der Missionsschule der Xaverianer in Holliston/Massachusetts vergewaltigt und missbraucht. 1993 wurde der Fall mit der Zahlung von 175 000 Dollar beigelegt. Der Pater, gegen den mindestens zwei weitere Missbrauchsvorwürfe erhoben wurden, war derweil von 1970 bis 2003 bei den Kayapo-Indianern. In einem Entschuldigungsbrief an Callander erklärte er 1993, er sei von sich aus nach Brasilien gegangen, um ein neues Leben anzufangen. «Im Vertrauen auf Gottes Gnade habe ich mich meinem Problem gestellt», schrieb er. «Mit Gottes Hilfe habe ich es überwunden.»

Nichts deutet darauf hin, dass der inzwischen 75-Jährige in Brasilien Kinder missbraucht hat. Die Xaverianer fanden nach Angaben des früheren Provinzials Robert Maloney nichts zu beanstanden und liessen ihn nach einem psychologischen Gutachten weiter mit Kindern arbeiten. 2008 stiess Callandar im Internet auf die Fotos und beschwerte sich bei der Kirche. Der Pater wurde eilends nach Italien zurückbeordert. Heute ist er am Ordenssitz der Xaverianer in Parma tätig, kümmert sich nach deren Angaben um alte und kranke Priester und hat «auf gar keinen Fall» mit Jugend- oder Gemeindearbeit zu tun.

Keine Antwort vom Papst

Ein indischer Pater wurde beschuldigt, bei einem Gastaufenthalt in Florida 2006 ein 15-jähriges Mädchen betatscht zu haben. Er wurde in seine Heimat zurückbeordert und dann nach Italien versetzt, wo er als Hilfspfarrer in einer Kleinstadt in der Toskana wirkt. Seine Kirchenoberen wissen von dem Vorwurf, halten ihn aber für unschuldig. Die vorbrachten Beweismittel belegten den Vorwurf nicht, erklärte der Bischof von Montepulciano, Monsignore Rodolfo Cetoloni. Er sehe keinen Anlass einzuschreiten; der Pfarrer werde «allseits geschätzt». Der Priester bestreitet, das Mädchen absichtlich unsittlich berührt zu haben. Dessen Mutter wandte sich 2006 an den Papst. In einer E-Mail beklagte sie, dass ihre Familie von der Gemeinde geschnitten werde, und bat um Beistand. Benedikt XVI. antwortete nicht.

Ein schweizerischer Priester hat den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in den 70er Jahren an der Zisterzienserabtei im österreichischen Mehrerau und in Birnau am Bodensee gestanden. Er war seiner Posten enthoben und 1971 von der Diözese Basel angestellt worden, obwohl diese von seinen Verfehlungen wusste. Bedingung war, dass er unter Aufsicht eines anderen Geistlichen stand und sich ärztlich behandeln liess. 1987 wurde er nach Birnau zurück berufen und ging 1992 als Priester nach Schübelbach in der Diözese Chur. Diese erfuhr nach eigenen Angaben erst von seiner Vergangenheit, als sich im März dieses Jahres eines der Opfer meldete. Der Geistliche legte sein Amt nieder.

Bischof ahnungslos

Ein Pater aus Kolumbien wurde in drei verschiedenen Ländern verurteilt. In den USA bekam er wegen sexuellen Missbrauchs dreier Jungen in den 80er Jahren eine Bewährungsstrafe und wurde nach Venezuela abgeschoben. Dort wurde er 1996 vom Priesteramt suspendiert, nachdem 18 Jungen ihn der Belästigung beschuldigten. Seinem Bischof war nach eigenen Angaben der Hintergrund nicht klar gewesen, als der Täter nach Venezuela kam. Der Geistliche kehrte nach Kolumbien zurück, wo er 2001 wieder wegen sexueller Belästigung eines Jungen vor Gericht kam und gestand.

Terry Carter aus Neuseeland bezeichnet die Versetzung der Priester als «geografische Behandlung». Er wurde in einem katholischen Internat bei Wellington von einem Priester missbraucht. Der hatte sich in vier kirchlichen Einrichtungen in Neuseeland an insgesamt elf Jungen vergriffen, bevor ihn die Kirche «zu intensiver Psychotherapie» nach Irland expedierte. 2004 wurde er nach Neuseeland ausgewiesen, zu sieben Jahren Haft verurteilt und im September 2009 vorzeitig entlassen.

«Ein Mal das Richtige tun»

Callandar hat erst vergangene Woche seinen Geschwistern erzählt, was ihm als Junge widerfahren ist. Er rede darüber, weil die Xaverianer ihr Versprechen nicht gehalten hätten, dass der Pater nichts mehr mit Kindern zu tun haben würde, sagt er. Er will, dass die Kirche sich ändert, dass sie Missbrauchstäter ihres Priesteramts enthebt und sie aus der Öffentlichkeit nimmt, damit sie nicht anderswo auf der Welt weitermachen können. «Ich möchte nur, dass die Kirche ein Mal das Richtige tut», sagt Callander. «Dass so ein Mann sich nicht mehr katholischer Priester nennen darf.»

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