Israel startet Bodenoffensive

Aktualisiert

Nach ArtilleriebeschussIsrael startet Bodenoffensive

Israel hat am Samstagabend mit der erwarteten Bodenoffensive im Gazastreifen begonnen. Unterstützt von Panzern und Kampfhelikoptern rückten Soldaten in den Norden und Osten des Palästinensergebiets vor.

Augenzeugen berichteten von schweren Feuergefechten zwischen israelischen Soldaten und Kämpfern der Hamas im Norden des Gazastreifens. Dabei wurden nach israelischen Armeeangaben Dutzende bewaffnete Palästinenser getötet.

Der bewaffnete Hamas-Arm, die Essedin-el-Kassam-Brigaden, erklärte, es seien mehrere israelische Soldaten bei der Explosion eines ferngesteuerten Sprengsatzes gestorben. Nach Angaben von Rettungskräften starb bei israelischem Panzerbeschuss nahe des Flüchtlingslagers Dschabalija auch ein elfjähriges Kind. Elf weitere Kinder seien verletzt worden.

Grossoffensive der israelischen Armee

Eine «bedeutende Anzahl von Truppen» sei an der «zweiten Phase» der «Operation Gegossenes Blei» beteiligt, teilte die israelische Armee mit. Infanterie, Panzer, Artillerie, Luftwaffe und Marine nähmen an der Offensive teil. Israel wolle Gebiete einnehmen, von denen aus militante Palästinenser seit Monaten Raketen auf israelisches Territorium geschossen hätten.

Verteidigungsminister Ehud Barak kündigte einen länger dauernden Einsatz an. Die Bodenoffensive werde «nicht einfach und nicht kurz sein», sagte er. Dabei rechne Israel auch mit dem Verlust eigener Soldaten.

Hamas ruft zur Entführung von Soldaten auf

Die Hamas hat nach Beginn der israelischen Bodenoffensive zur Entführung von israelischen Soldaten aufgerufen. «Bereitet Euch auf eine Überraschung vor», hiess es in einer Botschaft, mit der die Hamas in Radiofrequenzen der Streitkräfte einbrechen konnte. «Ihr werden entweder getötet oder entführt, und Ihr werdet psychische Schäden erleiden von dem Grauen, das wir Euch bereiten werden.»

Die israelischen Soldaten würden mit der Offensive näher an die Falle rücken, die Hamas-Kämpfer für sie vorbereitet hätten, hiess es. Ein Hamas-Sprecher erklärte, der Gazastreifen werde jetzt zum Friedhof für israelische Soldaten.

Mobilisierung von weiteren Reservisten

Israel hat nach Angaben aus Kreisen des Verteidigungsministeriums rund 10 000 Soldaten an der Grenze zusammengezogen. Nach Beginn der Bodenoffensive im Gazastreifen hat Israel nach Regierungsangaben mehrere zehntausend Reservisten mobilisiert. Genaue Zahlen wurden am Samstagabend nicht bekanntgegben. Aus Militärkreisen hiess es lediglich, die vor einigen Tagen gestartete Aktion zur Einberufung von 9000 Reservisten werde ausgeweitet. Diese Einberufung war Beobachtern zufolge als Warnung an die Adresse der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen sowie der schiitischen Hisbollah im südlichen Libanon zu werten.

Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte die Bodenoffensive scharf. Er forderte eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats. Dieser berief für Samstagabend (Sonntag 0100 MEZ) eine neue Dringlichkeitssitzung ein. Die Beratungen sollen hinter verschlossenen Türen stattfinden.

Vorbereitender Artilleriebeschuss

Die israelischen Streitkräfte hatten vor dem Einmarsch mit Artillerie auf Ziele im Autonomiegebiet geschossen. Laut Augenzeugen begann der Beschuss am Samstag gegen 16:30 Uhr Ortszeit und traf vor allem Ziele im Norden und Süden. Beschossen wurden demnach Beit Hanun und Dschabalija im Norden sowie Chan Junis im Süden des Palästinensergebietes. Nach über einer Woche mit massiven Luftangriffen ist es der erste Kampfeinsatz der Bodentruppen. Diese stehen seit Tagen für einen möglichen Einmarsch in den Gazastreifen bereit.

16 Tote bei Luftangriff auf Moschee

Die Luftwaffe bombardierte am Samstag mehr als 40 Einrichtungen der radikalislamischen Hamas. Dabei kamen nach palästinensischen Angaben bis zum Abend mindestens 26 Menschen ums Leben. Bei einem Angriff auf eine Moschee in der Stadt Beit Lahia starben gemäss Augenzeugen mindestens 16 Menschen.

Israel hat binnen einer Woche über 700 Ziele im Gazastreifen bombardiert. Dabei starben nach UNO-Schätzungen mindestens 433 Menschen, mehr als 2000 weitere wurden verletzt. Ein Viertel von ihnen seien Zivilisten. Nach Angaben palästinensischer Gesundheitsbeamten sei die Zahl der Toten am Samstag Abend auf mehr als 470 gestiegen. Beide Seiten haben einen bedingungslosen Waffenstillstand abgelehnt.

Israel verweigert IKRK-Team die Einreise

Die Lage der 1,5 Millionen Palästinenser in dem dicht besiedelten Küstenstreifen wird immer dramatischer. Zwar lässt Israel täglich Lebensmittel- und Medikamententransporte passieren. Doch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) berichtete von Problemen in der Wasserversorgung und einem Mangel an Medikamenten und Verbandsmaterial in Kliniken.

Einem medizinischen Team des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) ist die Einreise in den Gazastreifen verwehrt worden. Die vier Spezialisten sollten im Spital Shifa bei schwierigen Operationen von Kriegsverwundeten helfen. Das IKRK habe den israelischen Behörden die Ankunft der Spezialisten weit im voraus angekündigt, teilte die Organisation am Samstag mit. Das Team unter Leitung eines Kriegschirurgen warte jedoch seit Freitagmorgen auf die Einreise über den Grenzübergang Erez.

Mit Material des IKRK gelang es unterdessen, den Generator im Spital Shifa zu reparieren. Zudem seien Lieferungen mit medizinischen Gütern in das Frauenspital Tal Al Sultan in der Nähe von Rafah und das Spital Ahli Arab in Gaza-Stadt gelangt.

Strom und Gasversorgung zusammengebrochen

Laut UNO-Angaben ist die Strom- und Gasversorgung zusammengebrochen. Das Abwassersystem funktioniere nur noch teilweise. «Wir haben die ganze Nacht kein Auge zugetan wegen der Luftangriffe, sagte Umm Kamell, Mutter von 11 Kindern. Sie weigerte sich trotz israelischer Warnungen per Flugblatt, ihr Wohngebiet zu verlassen.

«Niemand fühlt sich mehr sicher, wir können nirgendwo Schutz suchen», klagte ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes auf der Website der Organisation.

Intensive Bemühungen um Waffenruhe

Unterdessen wurden die internationalen Bemühungen um einen Waffenstillstand verstärkt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon setzte sich für eine sofortige Feuerpause unter Einsatz internationaler Beobachter ein. Die Hamas reagierte nur kühl auf diesen Vorschlag. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan setzte in Saudi-Arabien seine Mission fort, die arabischen Staaten für eine Einflussnahme auf die Hamas zu gewinnen.

Der UN-Sicherheitsrat wird sich voraussichtlich am Montag mit einem Resolutionsentwurf der Arabischen Liga befassen, in dem ein Ende der Luftangriffe und eine Verurteilung Israels gefordert wird. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas und die Aussenminister mehrerer arabischer Staaten wollten in New York persönlich für eine Annahme werben. Die USA und Grossbritannien haben den Entwurf aber schon als inakzeptabel und unausgewogen abgelehnt, weil darin die Raketenangriffe der Hamas nicht erwähnt würden.

Not und Mangel in Gaza

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(Quelle: AP/SDA)

EU: Vorstoss «eher defensiv als offensiv»

Der tschechische Regierungschef und amtierende EU-Ratspräsident Mirek Topolanek hat nach Angaben eines Sprechers zurückhaltend auf die israelische Bodenoffensive im Gazastreifen reagiert.

Der Vorstoss der israelischen Armee sei «eher defensiv als offensiv», erklärte Topolanek am Samstagabend nach Angaben eines Regierungssprechers in Prag im Namen der EU-Ratspräsidentschaft.

Der tschechische Aussenminister Karel Schwarzenberg sagte in Brüssel, der Beginn der Bodenoffensive sei «nicht überraschend». Er bekräftigte die Ende Dezember von den EU-Aussenministern in Paris vorgebrachte Forderung nach einer Waffenruhe.

Schwarzenberg wird eine EU-Delegation leiten, die ab Sonntag im Nahen Osten Möglichkeiten zur Lösung des Konflikts erörtern will. Zu der Delegation gehören EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero- Waldner, der EU-Aussenbeauftragte Javier Solana, Frankreichs Aussenminister Bernard Kouchner und sein schwedischer Kollege Carl Bildt.

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