NahostZurückgeschossen wird mit der Kamera
Israelische Menschenrechtler gehen neue Wege im Einsatz für den Frieden: Sie verteilen Videokameras an palästinensische Familien, damit diese Übergriffe von Siedlern und Soldaten dokumentieren können.
Soldaten zerstörten im August 2007 in Qalqilya während einer Suchaktion mutmasslich krimineller Männer sieben Mehrfamilienhäuser. Ein israelischer Bewohner filmte die Szenen. (Quelle: btselem.org)
Seit ihrer Gründung 1989 setzt sich die israelische Organisation B'Tselem für die Menschenrechte im besetzten Westjordanland ein. Sie berichtet von Palästinensern, die vor den Augen israelischer Sicherheitskräfte von radikalen Siedlern misshandelt werden; wie den Palästinensern später der Zutritt zum Polizeiposten verwehrt wird, wenn sie sich beschweren wollen; und dass das Wort eines Soldaten oder Siedlers in der Praxis oft mehr gilt als das eines Palästinensers. Dabei ist die Rechtslage im Westjordanland klar: Als Besatzungsmacht ist Israel für die Sicherheit sowohl von Juden als auch Palästinensern zuständig.
Seit 2007 wird zurückgeschossen
Um dieses Ungleichgewicht zu beseitigen, rief B'Tselem 2007 das Projekt «shooting back» ins Leben. Die Idee ist simpel: Videokameras werden an palästinensische Familien verteilt, damit diese künftig die Beleidigungen und Attacken mit Steinen und Gummigeschossen gegen sie filmen können. Die Mitarbeiter von B'Tselem werten das Videomaterial anschliessend aus und unterstützen sie gegebenenfalls bei der Einreichung einer Klage.
Die Absicht ist klar: Aussagen können ignoriert werden, Videoaufnahmen nicht. Bis heute sind 100 Kameras verteilt worden, pro Monat gehen durchschnittlich 40 Filme bei B'Tselem ein. Derzeit sind 15 Klagen hängig, die aufgrund aussagekräftiger Videobeweise zustande gekommen sind.
Unerwartete Begleiterscheinungen
«Wir wollen der israelischen Bevölkerung unmissverständlich zeigen, wie von ihren Mitbürgern in den besetzten Gebieten Unrecht gegen unschuldige palästinensische Zivilisten begangen wird», sagt Oren Yakobovic, der bei B'Tselem die Abgabe der Kameras koordiniert. «Und natürlich wollen wir die Lage dieser Menschen verbessern.»
Gemessen an diesen Vorgaben zeigt «shooting back» beachtliche Erfolge. Besonders aus Hebron, einer Stadt, in der Palästinenser und jüdische Siedler unmittelbar nebeneinander leben, sind Übergriffe bekannt geworden, die in der israelischen Öffentlichkeit für grosses Aufsehen gesorgt und sogar Premierminister Olmert zur Aussage bewegt haben, er schäme sich beim Anblick dieser Bilder.
Palästinenser tragen Kamera-Attrappen mit sich
Die Aktion zeigt aber auch ganz konkrete Auswirkungen: Palästinenser, die eine Videokamera sichtbar mit sich tragen, werden aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen von vornherein in Ruhe gelassen. Die israelische Tageszeitung «Haaretz» berichtet von Kamera-Attrappen, die denselben Effekt erzielen. Inzwischen kommen die israelischen Behörden sogar von sich aus auf B'Tselem zu, in der Hoffnung, Material für ihre Ermittlungen zu bekommen. So zum Beispiel vor wenigen Tagen, als eine Gruppe von Siedlern offenbar als Vergeltung für einen vereitelten Terroranschlag ein palästinensisches Dorf attackierte und dabei acht Personen verletzte. «Haaretz» berichtet, die Polizei habe B'Tselem um das entsprechende Filmmaterial gebeten.
Soldaten vertreiben palästinensische Hirten von ihrem Land:
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B'Tselem Mitarbeiter Oren Yakobovich, erklärt «shooting back»:
BTselem
B'Tselem (hebräisch Ebenbild) ist eine israelische Nichtregierungsorganisation, die sich selbst als «israelisches Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten» beschreibt. Die Organisation wurde 1989 von israelischen Juristen, Akademikern, Journalisten und Knesset-Abgeordneten gegründet. Zu ihren erklärten Zielen gehören die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen beider Seiten in den besetzten Gebieten, die Sensibilisierung der israelischen Öffentlichkeit und Politik, die Bekämpfung von diesbezüglichen Verdrängungstendenzen sowie der Aufbau einer Menschenrechtskultur in Israel. Noch im Gründungsjahr wurde BTselem der «Carter-Menil Human Rights Prize» des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter verliehen.