Alltag in Zeiten der Pandemie

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SchweinegrippeAlltag in Zeiten der Pandemie

Die Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln ist im Pandemiefall überlebenswichtig. Doch wenn die Schweinegrippe voll zuschlägt, wird dies den Alltag verändern. Mögliche Szenarien: Verkaufspersonal in Schutzanzügen, Bürangestellte als Tramchauffeure und Kinobesuche mit Schutzmaske.

Andrea Löpfe und Cyprian Zajac
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Andrea Löpfe und Cyprian Zajac

Seit Tagen beherrscht die Schweinegrippe in Grossbritannien die Zeitungsspalten. 7447 Erkrankungen registrierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bisher. 16 Todesopfer forderte die neue Grippe laut britischer Regierung. Sie rechnet damit, dass 20 bis 30 Prozent der Beschäftigten dem Arbeitsplatz fern bleiben könnten, sobald die Grippe ihren Höhepunkt erreicht hat. In der Schweiz sind bisher 272 laborbestätigte Fälle bekannt. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) rechnet damit, dass im Herbst rund 1.5 Millionen Personen in der Schweiz an dem H1N1-Virus erkranken könnten. Wie das Leben während einer Schweinegrippe-Pandemie aussieht, wird sich zeigen. Eines aber ist klar: Die Pandemie könnte aus unserer Alltagsroutine einen täglichen Spiessrutenlauf machen.

Apotheken

Die Basler-Apotheken haben bereits die Köpfe zusammengesteckt, um einen Engpass in der Medikamentenversorgung zu verhindern: «Improvisation und Flexibilität stehen an erster Stelle», lautet das Fazit von Reto Rupf, Präsident des Baselstädtischen Apothekerverbandes. Doch darauf alleine will man sich in Basels Apotheken nicht verlassen. Bei einer starken Verbreitung wird das Personal aufgeteilt: Ein bis zwei Personen werden sich um die erkrankte Kundschaft kümmern, die hinter einer Wartebarriere zurückgehalten wird. Das «Erste-Hilfe-Personal» wird mit Schutzanzügen, Schutzbrillen, Masken und Handschuhen ausgestattet. Für sämtliches Personal gilt zudem im Ernstfall: Händeschütteln verboten. Sollte die Grippe ungeahnte Auswüchse annehmen, würden Apotheken geschlossen und die Kunden nur noch durch das Notfenster bedient.

Ilka Wilharm, Pandemiebeauftragte des Verbandes Stadtzürcher Apotheken, ist überzeugt, dass die Zürcher Pharmazien gut vorbereitet sind. Vom Apothekerverband wurde schon 2007 ein Pandemieplan entworfen. Dieser beinhaltet u.a. Hygienemassnahmen und Verhaltensregeln im Umgang mit Kunden und wurde im Frühjahr an die Apotheken verteilt. In der Apotheke Zwölf in Zürich hat sie bereits einige Vorbereitungen getroffen: Schutzmasken und Brillen, Desinfektionsmittel, geschlossene Abfalleimer und Handschuhe für das Personal sind an Lager. «Ich habe zusätzlich Plexiglasscheiben als Schutz vor Tröpfcheninfektion für unsere Mitarbeiter gekauft, welche wir in dem Verkaufsbereich aufhängen können.» Im Extremfall werde sie sogar die Apotheke in zwei Bereiche aufteilen. Gesunde und infizierte Kunden würden getrennt. Grippepatienten sollten dann aber besser zu Hause bleiben und von Telefon und Hauslieferdienst Gebrauch machen, sagt Wilharm. «Im Ernstfall wird unser Dienstleistungsangebot verstärkt, damit wir die Kunden in ihrer Wohnung versorgen können.»

Detailhandel

Auf eine steigende Nachfrage des Hauslieferdienstes stellt man sich auch bei Coop und Migros ein. Coop rechnet mit einem Anstieg von 10 bis 30 Prozent der Hauslieferdienste im Herbst. Auf Personalsuche sei man deshalb noch nicht, sagt Sprecher Karl Weisskopf. Problematisch könnte es werden, sollte ein Grossteil des Personals erkranken. Dann sollen zunächst jene Filialen geschlossen werden, die keine Nahrungsmittel verkaufen. «Zudem sei vor allem Flexibilität gefragt, weil niemand sagen kann, wo das Virus wie stark zuschlagen wird,» so Weisskopf.

Flexibilität wird auch beim orangen Riesen grossgeschrieben. Auch die Migros würde zunächst jene Filialen schliessen, die keine Nahrungsmittel im Sortiment haben. Sollte die Nachfrage nach Hauslieferdiensten zunehmen, ist vor allem die Post gefordert, die für die Migros (LeShop) die Hauslieferungen übernimmt. «Wir sind dadurch extrem flexibel», ist Sacha Herrmann, Mitglied der LeShop-Geschäftsleitung, überzeugt. Laut Herrmann könnten so bei Bedarf die Lieferzeiten bis 21.30 Uhr verlängert werden, um die Nachfrage zu bewältigen (heute bis 20 Uhr). Kritisch werde es, wenn die Nachfrage um 50 Prozent zunimmt.

Die Warenhauskette Globus stützt ihre Planung auf das Pandemiehandbuch der Migros, das für die gesamte Gruppe erstellt wurde. Die nötige Anzahl Masken für die Mitarbeitenden ist bei der Migros reserviert, ebenso entsprechende Mengen von Desinfektionsmitteln, erklärt Pressesprecher Jürg Welti.

Bei der Kaufhausgruppe Manor wurde ein Krisenstab reaktiviert, der sich schon vor einigen Jahren mit dem Thema Vogelgrippe auseinandergesetzt hatte. «Dieser Krisenstab tritt bei Bedarf zusammen und passt die getroffenen Massnahmen und Vorkehrungen laufend der aktuellen Situation an», erklärt Elle Steinbrecher, Pressesprecherin von Manor. Es seien verschiedene Szenarien entwickelt worden, die jeweils vom Ausbreitungsgrad der H1N1 Grippe abhiengen. Wie diese im Einzelnen aussehen, verrät Manor nicht. Für alle Fälle steht aber dem Kassen- und Verkaufspersonal eine spezielle Grundausrüstung zur Verfügung.

Öffentliche Schulen

Wann die Kinder zu Hause bleiben müssen, ist je nach Kanton verschieden. So erwägt Thomas Schochat, stellvertretender Berner Kantonsarzt, gegenüber dem «Tages-Anzeiger», ganze Klassen oder Schulen zu schliessen. In Zürich hingegen schickt man nur kranke Kinder nach Hause, ihre Geschwister sollen weiter die Schule besuchen.

Die Post

Trotz massivem Personalabbau in den letzten Jahren ist die Post überzeugt, auch mit bis zu 25 Prozent weniger Personal ohne Reduktion der Leistungen klarzukommen. Trifft es mehr Mitarbeiter, wären Abstriche bei der Qualität die Folge: A-Post-Briefe könnten in diesem Fall nicht mehr alle am Folgetag ausgeliefert werden. Wichtige Sendungen wie etwa Medikamente würden dafür mit höherer Priorität ausgeliefert.

Öffentlicher Verkehr

Die SBB würden im Notfall den Verkehr auf den wenig frequentierten Linien reduzieren. Die Hauptverkehrsachsen sollen nicht tangiert werden. Die Zürcher Tram- und Buslinien hingegen würden auf sämtlichen Linien leicht eingeschränkt werden – allerdings nur im Notfall. Die VBZ würden zunächst auf Aushilfspersonal zurückgreifen. Dabei könnte man auf Mitarbeiter zählen, die im Büro arbeiten, aber eine entsprechende Ausbildung für die Leitstelle oder den Fahrdienst haben. In Basel und Bern überlegen sich die Betriebe die exponierten Führerstände in den Bussen durch zusätzliche Massnahmen wie Türen und Abdichtungsmaterial zu schützen.

Flugverkehr

Für Passagiere sind keine speziellen Vorkehrungen vorgesehen. Auch die Passagiere, die mit einer an Schweinegrippe erkrankten Person im Flugzeug sassen, werden nicht informiert, weil die Grippe nicht so gefährlich sei. Schwieriger wird es, wenn Piloten und Fluglotsen ausfallen. Diese können nicht durch Aushilfspersonal ersetzt werden. Gegenüber der «Aargauer Zeitung» sprach Unique-Mediensprecher Marc Rauch davon, dass Lande- und Startraten herabgesetzt werden müssten, sollte eine grössere Anzahl an Mitarbeiter erkranken. Auch bei einem Ausfall der Piloten müsste der Flugplan angepasst werden.

Kinos

Einige findige Köpfe gibt es bei den Kinobetreibern. Diese überlegen sich, Masken mit aufgedruckter Kinowerbung zu verteilen. Zudem sollen die Besucher sich die Hände am Eingang desinfizieren und nur noch jeder zweite Sitzplatz verkauft werden. Der Betrieb solle aber aufrechterhalten werden.

Grossanlässe

Etwas düsterer sieht es bei Fussball- und Eishockeyspielen oder Konzerten aus. Das Bundesamt für Gesundheit überprüft, unter welchen Bedingungen die Anlässe abgesagt werden könnten. Auch hier bestimmt aber der Kanton die konkrete Umsetzung. Der Konzertveranstalter «Good News» hat jedoch noch keine Massnahmen geplant, wie er gegenüber der «Aargauer Zeitung» verlauten lässt.

Müllentsorgung

Die Entsorgung von Abfall ist ein wichtiger Punkt in der Massnahmenliste gegen die Ausbreitung einer Pandemie. «Die Hygiene hat auf öffentlichem Grund eine hohe Priorität», erklärte Leta Filli von Entsorgung und Recycling Zürich gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Bevor hygienerelevante Dienste wie Kehrichtverbrennung, Abwasserreinigung und Strassenreinigung eingeschränkt werden, sollen Leistungen wie Altpapierentsorgung und private Aufträge reduziert werden, so Filli.

McDonalds

Die grösste Fast-Food-Kette der Welt prüft zurzeit ihre Schutzmassnahmen, eine interne Projektgruppe arbeitet an möglichen Szenarien. «Ich denke, wir sind gut vorbereitet. Wir haben bereits jetzt sehr strenge Hygienevorschriften. Weiter arbeiten wir eng mit den Behörden zusammen», erklärt Pressesprecherin Nicole Schöwel.

Arbeitgeberverband

Der Schweizerische Arbeitgeberverband hat sich selber nicht die Mühe gemacht, Pläne für den Notfall festzulegen. Er verweist in einer Mitteilung auf auf das BAG: «Wir veröffentlichen selber keine Empfehlungen. Dafür legen wir den Unternehmen das von der SECO veröffentlichte Pandemie-Handbuch zu Herzen», sagt Informationschef Hans Reis. Darin sei beschrieben, wie sich Unternehmen verhalten sollen. Zudem gebe es Pläne zur Aufrechthaltung des Betriebes.

Banken

Auch die Schweizer Bankenbranche hat der Ausarbeitung eines eigenen Notfallplans keine allzu grosse Prioriät eingeräumt: Viele Banken verweisen auf die Empfehlungen des BAG und der WHO. Die Einhaltung dieser Regeln wird allen Mitarbeitern der Banken empfohlen. Dies bestätigt auch UBS-Pressesprecher Andreas Kern: «Reiserückkehrende, die innert einer Woche nach der Einreise in die Schweiz Grippesymptome aufweisen, sollen daheim bleiben und umgehend ihren Arzt sowie ihren Vorgesetzten telefonisch verständigen.»

«Geeignete Vorkehrungen zum Schutz der Gesundheit unserer Mitarbeitenden und zur Aufrechthaltung unserer Dienstleistungen sind vorbereitet», teilt auch Credit Suisse Pressesprecher Georg Söntgerath mit. Die weltweite Entwicklung werde weiter verfolgt und die Angelegenheit entsprechend der jeweiligen regionalen Situation behandelt. Über genauere Massnahmen im Falle einer Pandemie schweigen sich die Banken jedoch aus.

Empfehlungen an Erkrankte bei Grippesymptomen

Zuhause bleiben bis mindestens 1 Tag nach Abklingen der Symptome. Dies bedeutet: Vom Arbeitsplatz fernbleiben; nicht einkaufen gehen; keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen; kein Besuch von Veranstaltungen, Kinderkrippen, Kindergärten, Schulen und Kasernen. Kein Kontakt zu Personen

mit erhöhtem Komplikationsrisiko sowie keine Besuche von Patienten in Spitälern oder Bewohnern von Heimen. Nach Möglichkeit enge Kontakte im Haushalt vermeiden

Sich telefonisch bei einem Arzt/einer Ärztin melden, wenn

a) die Symptome innert 7 Tagen nach Rückkehr aus einem Gebiet mit erhöhtem Expositionsrisiko für A(H1N1) auftraten, oder

b) die erkrankte Person engen Kontakt mit einem bestätigten Influenza A(H1N1) Fall hatte, oder

c) schwere Symptome auftreten, oder

d) ein erhöhtes Komplikationsrisiko besteht

Hygienemassnahmen beachten, Gesundheitszustand überwachen, ärztliche Empfehlungen befolgen

Falls die erkrankte Person das Haus vorübergehend verlassen muss (z.B. für eine Arztkonsultation), soll sie während dieser Zeit eine Hygienemaske (chirurgische Maske) tragen

Personen, mit denen man ab Auftritt der Symptome sowie am Tag vor Symptombeginn engen Kontakt hatte, über die eigene Erkrankung informieren und ihnen empfehlen, ihren Gesundheitszustand aufmerksam zu beobachten und auf persönliche Hygiene zu achten

Tamiflu soll nur nach ärztlicher Verschreibung eingenommen werden

Quelle: BAG

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