Konservative Partei mit hoher Glaubwürdigkeit

Aktualisiert

Wahl in TunesienKonservative Partei mit hoher Glaubwürdigkeit

Die islamische Ennahda-Bewegung ist die Siegerin der ersten freien Wahlen in Tunesien. Der Erfolg weckt Besorgnis. Was ist von der Partei zu erwarten?

von
Urs P. Gasche
infosperber.ch
Anhängerinnen der Ennahda-Partei an einer Kundgebung am letzten Freitag in Tunis.

Anhängerinnen der Ennahda-Partei an einer Kundgebung am letzten Freitag in Tunis.

Die Islam-Partei Ennahda hat in den ersten freien Wahlen Tunesiens rund 45 Prozent der Sitze im 217-köpfigen Verfassungsrat erobert. Europäische Medien reden von «islamistischer» Partei, was nach «extremistisch» oder fundamentalistisch tönt und grosses Misstrauen weckt.

Tatsächlich handelt es sich um eine konservative islamische Partei mit einer sehr breiten Abstützung, besonders – aber nicht nur – in der religiösen Unterschicht der Bevölkerung. Die Partei war bis zur Revolution verboten und viele ihrer heutigen Führungskräfte sassen jahrelang im Gefängnis oder wurden zu Zwangsarbeit verurteilt. Aus diesen Gründen hat die Partei heute eine hohe Glaubwürdigkeit.

Kontakte mit extremen Imamen

Der rechte Flügel von Ennahda pflegt auch Kontakte zu extremen islamistischen Imamen, wie das Westschweizer Fernsehen nachgewiesen hat. Solche Kontakte sind bei uns etwa mit Kontakten rechtskonservativer katholischer Kreise mit Opus Dei zu vergleichen. Allerdings unterstützen extremistische Islame zuweilen gewaltsame Terroristen.

Die grosse Mehrheit der Wählerschaft – auch von Ennahda – sind jedoch religiöse Muslime, die durchaus die Vorstellung eines demokratischen Staates haben und einen solchen auch wünschen. Die Zeit nach der Wahl wird zeigen, was sich die Partei darunter vorstellt. Äusserungen von Ennahda-Funktionären hinterlassen jedenfalls einen ambivalenten Eindruck (siehe Interview).

Die Sehnsucht nach demokratischen Strukturen ist im Laufe der achtmonatigen Wahlvorbereitungen enorm gestiegen. Es ist ein fast unglaublicher Erfolg, dass sich sämtliche Parteien auf die Spielregeln der Abstimmung geeinigt und die Abstimmung ohne Gezänk oder Zwischenfälle stattfinden konnte. Über 90 Prozent aller registrierten Stimmberechtigten haben völlig freiwillig, ja mit verbreiteter Begeisterung an diesen ersten freien Wahlen teilgenommen. Es war ein nationales Event.

«Wir wollen kein theokratisches Tunesien»

Dechir Cheman ist als Vertreter der Islampartei Ennahda in den Verfassungsrat gewählt worden. Er vertritt die Region Kebili im Süden Tunesiens an der Grenze zur Sahara.

Wie definieren Sie Ihre Partei Ennahda? Dechir Cheman: Wir sind eine zivile, vom Koran und der Scharia inspirierte Partei.

Wie definieren Sie Ihre Partei Ennahda? Dechir Cheman: Wir sind eine zivile, vom Koran und der Scharia inspirierte Partei.

Will die Partei die religiösen Gesetze der Scharia zu den zivilen Gesetzen machen?

Nein, wir wollen keinen theokratischen Staat. Wir sind keine Wortführer des politischen Islams.

Wären Sie damit einverstanden, dass die Präambel der neuen Verfassung ausdrücklich festhält, dass Tunesien ein laizistischer Staat ist?

Es soll heissen, dass Tunesien ein arabisches und islamisches Land ist.

Selbstverständlich haben Muslime die Pflicht und das Recht, vor der Ehe keine sexuellen Beziehungen einzugehen und auch keine gleichgeschlechtlichen sexuellen Kontakte zu pflegen. Doch möchte Ihre Partei dies allen Tunesierinnen und Tunesiern vorschreiben?

Ja, das muss der Staat verbieten. Es gibt absolute Wahrheiten und unverrückbare Dinge.

Was gehört denn noch dazu?

Die Blasphemie und das Diffamieren des Propheten.

Falls der Verfassungsrat am Schluss einer Verfassung zustimmt, die als laizistisch erklärt wird, und die nicht alle absoluten Wahrheiten zum Gesetz macht: Würde sich Ennahda trotzdem weiter am politischen Prozess beteiligen oder auf die Strasse gehen?

Wir würden den Mehrheitsentscheid akzeptieren, jedoch mit friedlichen Mitteln versuchen, die Verfassung zu ändern.

Dieses Interview fand am 20. Oktober 2011 in Kebili am regionalen Sitz der Partei Ennahda statt.

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