Ein Land protestiert sich in den Ruin

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Gebeutelte WirtschaftEin Land protestiert sich in den Ruin

Ägyptens Wirtschaft ist wegen der Proteste wie gelähmt. Dem Land gehen täglich hunderte Millionen Dollar verloren.

von
Sandro Spaeth
Die Proteste lähmen Ägyptens Wirtschaft

Die Proteste lähmen Ägyptens Wirtschaft

Die Läden in Kairo sind meist geschlossen oder verbarrikadiert, Fabriken stehen still und auch der Handel an der Börse ist seit dem 27. Januar ausgesetzt. Ägyptens Wirtschaft ist durch die Proteste gegen Präsident Mubarak beinahe zum Stillstand gekommen. «Der Volkswirtschaft gehen derzeit täglich 420 Millionen Dollar verloren», sagt der Wirtschaftswissenschaftler Hamadi El-Aouni von der Freien Universität Berlin zu 20 Minuten Online. Der Spezialist für arabische Gesellschaften hat diese Zahl aufgrund des ägyptischen Bruttosozialprodukts errechnet.

Allein das Abschalten des Internets durch die Regierung während fünf Tagen hat laut der OECD einen Schaden von 90 Millionen Dollar verursacht. Genützt hat es nichts, denn das Regime konnte die Proteste trotz Kommunikationsverbot nicht verhindern.

Noch hat die Flaute in Ägyptens Wirtschaft nicht auf die Bevölkerung durchgeschlagen: Die Leute spürten das nicht sofort, sagt El-Aouni. Ägyptens Versorgungslage sei gut, die Lebensmittelvorräte reichten dem Land für rund drei Monate. Der Grund: Der Staat ist beim Getreide und Gemüse Selbstversorger.

Fehlende Ersatzteile und Medikamente

Knapp werden dürften laut El-Aouni in rund einem Monat die Importgüter, beispielsweise Medikamente sowie Maschinenersatzteile. Unter fehlenden Importgütern hätte aber auch der Tourismus zu leiden, denn die von den Gästen verlangten Luxusgüter kommen meist aus dem Ausland. Noch ist es in den Tourismusregionen am Roten Meer zwar ruhig, doch erste Reiseveranstalter – darunter die Schweizer Anbieter Kuoni und Hotelplan – haben ihre Flüge nach Ägypten mittlerweile eingestellt. Die Angst vor einer Flaute im Tourismus teilt auch die Börse: Die Aktie des gross im ägyptischen Tourismus engagierten und an der Zürcher Börse kotierten Orascom-Konzerns von Samih Sawiris kam zuletzt stark unter Druck.

Dauern die Proteste noch lange an, werden die Schäden an der ohnehin angeschlagenen Volkswirtschaft grösser und grösser. Ägypten hat das Problem, dass pro Jahr lediglich Waren im Wert von 30 Milliarden Euro exportiert, hingegen für bis zu 70 Milliarden Euro importiert werden. Laut El-Aouni kann das auf lange Sicht nicht gut gehen. Der Staat kauft zu sehr auf Pump. Die Folgen sind bereits jetzt spürbar: Inflationsraten von 10 Prozent, was zu stark steigenden Lebensmittelpreisen führte und die Armut in der Bevölkerung verstärkte. Rund 40 Prozent der Ägypter leben an der Armutsgrenze und haben pro Tag lediglich zwei Dollar zur Verfügung – dies trotz massivem Wirtschaftswachstum.

Frisierte Wirtschaftszahlen und Korruption

Ägyptens Wirtschaft wies zuletzt Wachstumsraten von über 5 Prozent aus, und für die kommenden Jahre hat Mubarak das Ziel sogar bei 8 Prozent angesetzt. Der Wirtschaftswissenschaftler El-Aouni ist aber skeptisch: «Ägypten hat die Zahlen stets frisiert, um an Kredite aus dem Ausland zu kommen.»

Schlecht für die ägyptische Wirtschaft ist auch die als beinahe selbstverständlich betrachtete Korruption: «Korruption ist ein enormes Problem und gehört im Mubarak-System dazu», so El-Aouni. Laut dem Experten gehen von 100 Dollar, die in ein ägyptisches Projekt investiert werden, deren 30 für Bestechungsgelder drauf. Das hindert die ausländischen Investoren an langfristigen Engagements.

Trotz aller Proteste und Schwierigkeiten ist El-Aouni überzeugt, dass Ägyptens Wirtschaft wieder auf die Beine kommt – notfalls durch ausländische Hilfe. «Europa und die USA haben wegen des Öls und der strategischen Bedeutung des Landes grosses Interesse daran, dass Ägypten wieder stabil wird.»

Mubaraks Kontakte zu Genfer Privatbank

Die Kontakte des Mubarak-Clans reichen bis in die Schweiz. Wie die «Handelszeitung» meldet, ist Susanne Mubarak, die Gattin des Diktators mit einem Direktionsmitglied der Genfer Privatbank Union Bancaire Privée verbunden. Das Direktionsmitglied Walid Shahsh ist bei der in Genf ansässigen gemeinnützigen Organisation «The Suzanne MubarakWomen's International Peace Movement Association» zeichnungsberechtigt. Der Name des Bankers taucht zudem in Internetblogs auf, wo behauptet wird, er sei dem Mubarak-Clan bei der Verlagerung von Vermögenswerten ins Ausland behilflich.

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