Der Tag, an dem das ägyptische Internet starb

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CyberwarDer Tag, an dem das ägyptische Internet starb

Es galt bisher als undenkbar, doch mit Ägypten hat sich erstmals ein global vernetztes Land vom Internet abgekoppelt - und könnte damit zum Vorbild werden.

Jordan Robertson; AP
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Jordan Robertson; AP

Rund eine halbe Stunde nach Mitternacht ist Ägypten am Freitag aus dem Internet verschwunden. Fast gleichzeitig kappten Internetprovider die Leitungen, die ägyptische Internetnutzer mit dem Rest der Welt verbinden. Es war offenbar eine Massnahme in Vorbereitung auf die für Freitag angekündigten Demonstrationen gegen die seit fast 30 Jahren andauernde Herrschaft von Präsident Hosni Mubarak. Damit hat die ägyptische Regierung das getan, was viele Experten bislang für undenkbar hielten: Ein Land mit einer international vernetzten Wirtschaft hat den Internet-Stecker gezogen.

Wie die internationale Gemeinschaft und die Wirtschaft auf den Black-out reagieren, bleibt abzuwarten. Noch ist unklar, wie lange er anhalten wird und wer betroffen ist. Auch davon wird abhängen, welche Konsequenzen diese Massnahme für das Regime und das Land haben wird.

Das ägyptische Vorgehen könnte anderen unter Druck geratenen Regimen als Vorbild dienen. Allerdings ist die Manipulation, das Blockieren bestimmter Inhalte oder Internetangebote nichts Neues. China betreibt seit Langem Internetzensur und lässt chinesische Nutzer nur die Inhalte finden, die von den Regierungsbehörden als unbedenklich angesehen werden.

Vorbilder in kleinerem Massstab

Während der Proteste nach der Präsidentschaftswahl 2009 sperrte der Iran für seine Bürger Teile des Internets. Zwei Jahre zuvor ging die burmesische Junta noch drastischer zu Werke - sie kappte wortwörtlich die Hauptkommunikationskabel in wichtigen Städten. Mit Satelliten- und Mobiltelefonen konnten die Menschen diese Einschränkungen allerdings umgehen und trotzdem Kontakt zueinander und zum Internet halten.

Ägyptens Fall ist deshalb herausragend, weil das gesamte Land in einer offensichtlich gut koordinierten Aktion vom Netz genommen wurde, urteilen Computerexperten. Selbst Mobiltelefone sind betroffen. Die einzige Möglichkeit zur Verbindungsaufnahme mit dem Internet dürften Satellitentelefone bieten.

«Der Iran hat zu keiner Zeit einen wichtigen Teil seiner Internetverbindungen abgeschaltet. Sie wussten, dass ihre Wirtschaft und die Märkte von der Internetaktivität abhängig sind», sagt Jim Cowie, Technologiechef und Mitgründer der auf Netzwerksicherheit spezialisierten US-Firma Renesys, die auch Störungen des Internets überwacht.

Selektive Sperren können per Proxy umgangen werden

Solange ein Land nur den Zugang zu bestimmten Seiten wie Twitter oder Facebook blockiert, weil die Demonstranten über diese Plattformen ihre Proteste koordinieren, können die Internetnutzer diese Sperren leicht umgehen. Sie können Verbindungen zu sogenannten Proxy-Servern aufbauen, die ihre Anfragen an die gesperrten Seiten weiterleiten und ihnen so deren Inhalte zugänglich machen. Allerdings funktioniert das auch nicht, wenn wie in Ägypten, die Internetverbindung tot ist.

Die Aufzeichnungen von Renesys zeigen, dass bei den vier wichtigsten ägyptischen Internetprovidern - Link Ägypten, Vodafone/Raya, Telecom Ägypten, Etisalat Misr - um 12.34 Uhr die Lichter ausgingen. Über diese Firmen läuft so gut wie der gesamte Internetverkehr Ägyptens. Einzige Ausnahme schien die Noor Group zu sein, die über die Telecom Italia ans weltweite Netz angebunden ist. Zu den Kunden der Noor Group gehört unter anderem die ägyptische Börse. «Es ist, als wäre das ganze Land verschwunden», sagt Cowie.

Technisch ist die Abschaltung des Internets keine grosse Herausforderung. Das lässt sich bereits mit einer Änderung weniger Einträge in der Konfiguration der Routing-Server ändern.

Einfacher Zugriff der Regierungen auf Infrastruktur

In Ländern mit einer zentralisierten Regierung und relativ wenigen Glasfaser- oder sonstigen Internetanbindungen sind die Firmen mit entsprechender Technologie meist eng in die Kontrollstrukturen der Regierung eingebunden, sagt Craig Labovitz, Chefwissenschaftler der US-Computersicherheitsfirma Arbor Networks. «Wahrscheinlich reicht ein Anruf bei einem Dutzend Leuten, die dann eine Zeile Code in die Konfigurationsdatei eines Routers eingeben und Enter drücken», sagt er. Das sei nicht schwerer, als einen Videorekorder zu programmieren.

Die Leichtigkeit, mit der Ägypten sich selbst aus dem Internet nehmen konnte, lässt laut Expertenmeinung darauf schliessen, dass die Regierung auch kontrollieren kann, wo das Internet noch verfügbar ist. Beispielsweise könnten die Militärstützpunkte online bleiben, während der Rest der Bevölkerung offline ist. Allerdings ist das bislang nur eine Vermutung. Man sei noch dabei, Hinweisen nachzugehen, wonach einige kleinere Netzwerke in Ägypten noch online sein könnten, sagt Cowie.

Auf dem Monitor, auf dem Renesys den gemessenen Internet-Traffic anzeigt, blinkt bei Ägypten noch immer eine Null.

Kritik von Ban

UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon hat auf dem WEF in Davos die Internetzensur in Ägypten kritisiert. Ban sagte, er habe die Vorkommnisse in Tunesien, Ägypten und Jemen verfolgt. «Ich glaube, eines der obersten Gebote der Demokratie sollte der Schutz der Redefreiheit der Bürger sein.» Politische Führer sollten die Proteste zum Anlass nehmen auf legitime Bedenken ihrer Bürger einzugehen.

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