Tunesien vor den WahlenUnheilige Allianz gegen Israel
Tunesische Islamisten und Nationalisten wollen die Ablehnung des jüdischen Staats in der neuen Verfassung verankern. Israel ermutigt derweil die tunesischen Juden zur Auswanderung.
Am 23. Oktober wählt Tunesien eine verfassungsgebende Versammlung, um den Übergang von der Diktatur zur Demokratie auf eine legitime und rechtlich solide Grundlage zu stellen. Die 216 Abgeordneten erwartet kein Spaziergang: Der erste Verfassungsentwurf einer Expertenkommission verbietet explizit jegliche Normalisierung der Beziehungen mit Israel. Pragmatiker wollen den entsprechenden Artikel streichen, doch Islamisten, Nationalisten und Linksextreme bestehen darauf.
Vor einer Woche drohte laut der Nachrichtenagentur AFP Ahmed Kahlaoui, der Präsident des Komitees «Die Nation gegen die Normalisierung», jeden Tunesier, «der sich um Kontakte mit Israel bemüht» zu denunzieren. Tunis ist kein Schlüsselakteur im Nahostkonflikt, dennoch könnte ein solcher Schritt die Beziehungen zu den USA und zur EU und damit den Aufbruch in die Demokratie belasten.
Das Verhältnis zwischen Tunesien und Israel gilt seit langem als angespannt. Von 1982 bis 1994 beherbergte Tunesien die Führung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), die zuvor aus dem Libanon vertrieben worden war. Deren Hauptquartier in Tunis wurde 1985 bei einem Vergeltungsangriff der israelischen Luftwaffe vollständig zerstört. Unter den Todesopfern befanden sich auch tunesische Zivilisten. Zwischen 1996 und 2000 kam es zu einem kurzen Tauwetter, als beide Länder Interessensvertretungen in der jeweils anderen Hauptstadt eröffneten. Nach dem Ausbruch der zweiten Intifada 2000 beendete Tunesien das diplomatische Experiment.
Israel ködert tunesische Juden
Mit einem ungeschickten Aufruf könnte die israelische Regierung unnötig für eine zusätzliche Verstimmung gesorgt haben: Ende März hatte Premierminister Benjamin Netanjahu tunesischen Juden finanzielle Hilfe versprochen, um sie zur Emigration nach Israel zu bewegen, und berief sich dabei auf die angespannte Wirtschaftslage. Hintergrund ist der Umstand, dass die Mehrheit der rund 1500 tunesischen Juden auf der Ferieninsel Dscherba lebt, die vom Rückgang der Touristenzahlen besonders hart betroffen ist. In Israel leben etwa 55 000 Juden tunesischer Herkunft.
In Tunis kam diese Geste gar nicht gut an. «Dieser unangebrachte Aufruf stellt eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Tunesiens dar», protestierte das Aussenministerium. Israel versuche damit, das «post-revolutionäre Ansehen des Landes zu beschmutzen».
Ob bei der Wahl im Oktober anti-israelische Hardliner oder Pragmatiker die Oberhand gewinnen, ist völlig offen. Die Islamisten der Ennahda-Partei führen in den jüngsten Umfragen zwar, doch zwei Drittel sind nach wie vor unentschlossen.