Experten definieren Gefahr neu

Aktualisiert

VulkanascheExperten definieren Gefahr neu

London Heathrow, der grösste Flughafen Europas, ist wieder offen. Experten hatten sich zuvor geeinigt, dass wenig Vulkanasche doch nicht so gefährlich sei für die Triebwerke.

von
rub

Europas Luftverkehr kommt langsam wieder auf Touren. Die erste Maschine aus dem kanadischen Vancouver setzte am späten Dienstagabend in der wichtigen Verkehrsdrehscheibe London Heathrow auf, teilte der Betreiber mit. Die britische Zivilluftfahrtbehörde (CAA) hatte zuvor angeordnet, die wegen der Vulkanasche geltende Sperrung des Luftraums ab 23 Uhr (MESZ) schrittweise wieder aufzuheben. British Airways erklärte, dass am Mittwoch alle von Heathrow und Gatwick abgehenden Langstreckenflüge starten sollten.

Kurzstreckenflüge von und nach London würden bis Mittwoch 14 Uhr gestrichen. Grossbritannien hat länger als andere europäische Staaten mit der Lockerung des Flugverbots gewartet.

Wenig Asche, wenig Gefahr

Für Flüge in der Aschewolke galten laut CAA neue Richtlinien: Experten und Flugzeughersteller seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die Triebwerke bei Flügen durch niedrige Konzentrationen von Vulkanasche nicht gefährdet seien.

Die Konzentrationen im gesamten britischen Luftraum lägen unterhalb dieser Toleranzschwelle, teilte die CAA unter Berufung auf den britischen Wetterdienst mit. Die polnischen Behörden kündigten unterdessen die Öffnung des Luftraums ab Mittwochmorgen, 7 Uhr, an.

Der gesamte Luftraum in Europa oberhalb von 20 000 Fuss (6100 Metern) wurde am Dienstagabend für den Luftverkehr freigegeben. Ausgenommen sei lediglich Finnland, wo noch ein vollständiges Flugverbot gelte, teilte Eurocontrol mit.

Schweiz ermöglicht Nachtflüge

Obwohl weite Teile des europäischen Luftraums bereits am Dienstagmorgen offen waren, fielen in der Schweiz hunderte Flüge aus. Das Verkehrsaufkommen sei gering, sagte Urs Ryf von Skyguide. Die Lage sei komplex, jedes Flugzeug habe einen speziellen Flugplan. Daher könne vorerst nur die halbe Kapazität ausgeschöpft werden.

Um die Stabilität des Flugbetriebs in dieser ausserordentlichen Situation wiederherzustellen und gestrandete Passagiere möglichst rasch zurückbringen zu können, dürfen die Flughäfen Zürich und Genf vorübergehend Starts und Landungen auch ausserhalb der Öffnungszeiten zulassen. Das BAZL hat aber die Flughäfen gebeten, zwischen 1.30 und 5 Uhr besondere Zurückhaltung zu üben.

Wetterprognose spricht für Entwarnung

Meteorologen sehen für die Schweiz in dieser Woche keine weitere Vulkanasche kommen. Die Wolke über dem Schweizer Himmel werde auch bald verschwinden, sagte Patrick Hächler von MeteoSchweiz am Dienstagabend.

Die günstige Entwicklung habe zwei Gründe, führte Hächler auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA aus: «Der Vulkan in Island ist momentan nicht besonders aktiv, zudem wird die Luftströmung von Island her nicht in Richtung der Schweiz getrieben.» Die Strömung ziele in Richtung Dänemark und Ostsee. Die Prognose gelte bis Ende Woche.

Die Aschewolke, die zurzeit noch über der Schweiz schwebt, werde kontinuierlich kleiner. «Oberhalb von 3000 Metern ist praktisch nichts mehr vorhanden», sagte Hächler. Die Hauptkonzentration der Vulkanasche befinde sich auf einer Höhe zwischen 1500 und 2500 Metern. Der Regen vom Dienstag habe die Konzentration der Vulkanasche zusätzlich verringert.

Das Meteorologische Institut in der isländischen Hauptstadt Reykjavik teilte mit, dass der Gletschervulkan Eyjafjalla sechs Tage nach Beginn des Ausbruchs fast nur noch Lava und Wasserdampf ausstosse und kaum noch für die Luftfahrt gefährliche Vulkanasche.

Deutschland ab 02.00 Uhr offen

Die Deutsche Flugsicherung hatte am Dienstag erneut das deutschlandweite Flugverbot für fast alle Flughäfen bis 02.00 Uhr am Mittwochmorgen verlängert. Lediglich die Flughäfen Hamburg und Bremen dürfen von 23.00 Uhr bis 08.00 für den regulären Luftverkehr geöffnet werden. Für alle anderen Flughäfen gilt weiterhin, dass Sichtflüge je nach Wetterlage aber möglich sind.

Erstmals Einschränkungen im Westen

Zum ersten Mal wurden am Dienstagabend auch Flugbeschränkungen für ein Gebiet westlich von Island erlassen. Dänemark hat für das zu seinem Staatsgebiet gehörige Grönland Starts und Landungen untersagt. Unterhalb von 6 Kilometern Höhe dürfen keine Flugzeuge mehr verkehren. Bisher war der Staub vom Wind nach Osten getragen worden, auf die britischen Inseln und Kontinentaleuropa zu.

Auch für den Stockholmer Flughafen Arlanda wurde von Dienstagabend 18 Uhr bis Mittwochmorgen erneut eine Sperre verfügt. Zunächst konnte Arlanda am Dienstag wieder eingeschränkt angeflogen werden.

Asche bleibt in zentralem Luftraum eine Gefahr

Insgesamt war der Himmel über dem europäischen Festland während des Tages zu über 75 Prozent wieder für den Luftverkehr offen. In 19 europäischen Ländern durften Flugzeuge starten, während in 11 Staaten immer noch komplette oder teilweise Flugverbote galten. Die Flugsicherungsbehörde Eurocontrol teilte in Brüssel mit, dass der normale Flugbetrieb «Schritt für Schritt wieder aufgenommen wird». Am Dienstag konnten rund 14 000 der normalerweise 27 500 Flüge planmässig abgewickelt werden. Das ist eine merkliche Entspannung - nachdem am Sonntag fast 80 Prozent und am Montag fast 70 Prozent aller Flüge in Europa ausgefallen waren.

Allerdings bleibt die Aschebelastung vor allem in Nordwest-Europa eine Gefahr. Dort, im Viereck der Flughäfen London, Paris, Frankfurt und Amsterdam, zählt Eurocontrol 70 Prozent des gesamten europäischen Flugverkehrs. Wegen der anhaltenden Gefahr müsse auch in den nächsten Tagen mit Flugverboten gerechnet werden.

Laut Eurocontrol fielen seit Donnerstag vergangener Woche mehr als 95 000 Flüge aus. (rub/sda/dapd)

BMW und Nissan stoppen Produktion

Der deutsche Auto-Konzern BMW unterbricht wegen der europaweiten Flugausfälle die Produktion. Bereits am Dienstag sollten die Bänder im Werk in Dingolfing gestoppt werden, wie ein Konzernsprecher sagte. Die Werke in Regensburg und München folgten am Mittwoch und am Donnerstag.

Die Fertigstellung von rund 7000 Fahrzeugen müsse verschoben werden, sagte der Sprecher. Grund für den Unterbruch seien Lieferengpässe vor allem bei Elektronikbauteilen, die per Luftfracht geliefert würden.

Auch der Autohersteller Nissan hat angekündigt in Japan drei Produktionslinien stillzulegen, da wegen des Flugverbots über Europa in Irland hergestellte Teile nicht mehr importiert werden können. (sda)

Keine negativen Rückmeldungen der Piloten

Seit der Wiederaufnahme des Flugbetriebs in der Schweiz sind keine negativen Auswirkungen der Aschewolke auf Flugzeuge aufgetreten. Dies haben sowohl die Berichte der Fluggesellschaften über absolvierte Flüge als auch weitere Testflüge der Luftwaffe am Dienstag ergeben.

Beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) seien rund 40 Rückmeldungen von Fluggesellschaften bzw. deren Piloten eingegangen, sagte BAZL-Sprecher Daniel Göring am Dienstagabend. Zudem lagen dem BAZL auch viele Beobachtungen der Schweizer Luftwaffe vor. Das BAZL werde die Entwicklung der Lage weiterhin aufmerksam beobachten. Um die Datenbasis sukzessive zu verbessern, müssen Schweizer Fluggesellschaften dem BAZL über sämtlichen durchgeführten Flüge Bericht erstatten.

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