CIA, Sex und Zickenkrieg

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WikileaksCIA, Sex und Zickenkrieg

Ist Julian Assange ein Vergewaltiger? In Schweden mag das so sein. Für alle anderen sollte man klarstellen: Hier geht es um ein geplatztes Kondom.

Karin Leuthold
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Karin Leuthold
Anna Ardin (links) holte Julian Assange nach Schweden für ein Seminar an der Uni Uppsala. Im Publikum sass auch Sofie Wilén.

Anna Ardin (links) holte Julian Assange nach Schweden für ein Seminar an der Uni Uppsala. Im Publikum sass auch Sofie Wilén.

Am Dienstagmorgen klickten die Handschellen: Wikileaks-Gründer Julian Assange hatte sich in London freiwillig der Polizei gestellt, nachdem Schweden ihn wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und sexuellen Belästigung von zwei Frauen international zur Fahndung hatte ausschreiben lassen. Bei seinem ersten Verhör erklärte Assange dem Richter im Amtsgericht von Westminster, dass er seine Auslieferung von Grossbritannien nach Schweden anfechte.

In Schweden hingegen könnte Assange nach Auffassung seines schwedischen Anwalts Björn Hurtig nicht für längere Zeit festgehalten werden. Schliesslich habe die schwedische Staatsanwaltschaft den Haftbefehl lediglich erwirkt, um Assange verhören zu können.

Die Fakten auf den Tisch legen

Laut Assanges britischem Anwalt Mark Stephens gehen die Vorwürfe auf einen «Streit über einvernehmlichen, aber ungeschützten Geschlechtsverkehr» zurück. Betrachtet man die Details etwas eingehender, könnte man den Fall gar als einen Zickenkrieg beschreiben, in dem Eifersucht und Vergewaltigungswahn eine wichtige Rolle spielen.

Julian Assange kam am 11. August 2010 nach Stockholm. Anna Ardin – bald Opfer Nummer eins – hatte den Wikileaks-Frontmann eingeladen, an einer Konferenz an der Uni Uppsala zum Thema Informationsfreiheit teilzunehmen. Ardin ist Mitglied der «Christlichen Schwedischen Bruderschaft», gilt in ihren Umfeld als «Extremfeministin» und hat nachweislich Kontakt zu antikubanischen Organisationen in den USA, die von CIA-Agenten geleitet werden.

Ardin liess ihren Gastsprecher bei sich zu Hause wohnen, obwohl sie selber einige Tage ausser Haus war. Assange ist in dieser Zeit vor allem mit Interviews beschäftigt. Ardin wird aber während ihrer Abwesenheit von Sofie Wilén – später Opfer Nummer zwei – kontaktiert, einer jungen Fotografin, die unbedingt eine Karte für Assanges Veranstaltung besorgen möchte. Sie gibt an, Regierungsmitarbeiterin zu sein. Ardin schickt ihr ein Eintrittsbillet.

Zwei Kondompannen innerhalb von 48 Stunden

Am Abend vor dem Seminar kehrt Ardin überraschend heim. Assange hatte sie nicht vor Samstag, dem 14. August erwartet. Der Gast ist zu Hause, die beiden gehen am Abend zusammen essen und kehren zurück in die Wohnung. Es kommt zum einvernehmlichen Sex. Nach dem Akt bemerkt Ardin, dass das Kondom geplatzt ist.

Am Tag der Veranstaltung sitzt Wilén in der ersten Reihe. Nach Assanges Rede drängt sie sich im Publikum nach vorn und sucht Assanges Nähe, der sich mit zwei Mitgliedern der schwedischen Piratenpartei unterhält. Wilén und Assange kommen ins Gespräch, Assange lädt die 21-Jährige zum Mittagessen ein.

Wilén ist offenbar von Assange fasziniert. Sie versucht ihn am Sonntag zu erreichen, sein Handy ist aber abgeschaltet. Am Montag klappt es: Sie vereinbaren, am Abend noch mal zu telefonieren. Als Assange sich bis 20.30 Uhr nicht meldet, ruft Wilén an. Assange kommt gerade aus einem Treffen und bietet Wilén an, sich in der Altstadt mit ihr zu treffen. Wilén willigt ein. Das Paar geht ein wenig spazieren, bevor es den Zug nimmt, um zu Wiléns Wohnung zu fahren. Dort kommt es zum einvernehmlichen Sex mit Kondom. Am nächsten Morgen haben die beiden wieder Sex, diesmal ohne Kondom. Wilén besorgt danach noch das Frühstück und witzelt mit Assange, dass sie hoffentlich nicht schwanger sei.

Kurz vor Mittag fährt Assange mit dem Zug nach Stockholm, Wilén begleitet ihn zum Bahnhof. Seinen Termin um 12.00 Uhr mit schwedischen Journalisten verpasst er, kommt erst um 16.00 Uhr. Einer seiner Mitarbeiter versucht ihn telefonisch zu erreichen – erfolglos.

Eifersucht – oder eine geplante Tat?

Zwei Tage später, am Mittwoch, dem 18. August, meldet sich Wilén bei Ardin und erzählt vom ungeschützten Geschlechtsverkehr mit Assange. Sie habe Angst, schwanger zu sein oder sich mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt zu haben. Ardin erzählt Wilén, sie habe ebenfalls Sex mit Assange gehabt. Nach dem Telefonat ruft Ardin umgehend einen Bekannten von Assange an und fordert, dass dieser seine Sachen aus ihrer Wohnung räume.

Am Donnerstag sind die Sachen des Australiers immer noch bei Ardin. Sie schickt dem Bekannten eine SMS. Erst am Freitag holt Assange sein Gepäck aus Ardins Wohnung. Um 14.00 Uhr gehen Ardin und Wilén gemeinsam zur Polizei. Dabei will nur Wilén Anzeige erstatten, Ardin begleitet sie lediglich. Die Polizistin, die Wiléns Aussage aufnimmt, notiert: «Sie sagte, sie sei bei sich zu Hause vergewaltigt worden, von einem Mann, der sie gegen ihren Willen zum Sex gezwungen hat.»

Assange war vorgewarnt

Ardin erwähnt vor der Polizistin, dass sie ebenfalls Sex mit Assange gehabt habe. Dabei erzählt sie, dass das Präservativ gerissen sei – und beschuldigt erstmals Assange, es mit Absicht zerrissen zu haben. Am nächsten Tag zieht Ardin die Aussage zurück und gibt zu, dass Assange an der Kondompanne nicht schuld sei. In der Tat beteuern beide Frauen nun, knapp vier Monate nach dem Vorfall, sie hätten Assange gar nicht verklagen wollen. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters seien sie nur deswegen zur Polizei gegangen, weil sie Assange nicht dazu bringen konnten, sich bei einem Arzt auf sexuell übertragbare Krankheiten testen zu lassen.

Am Samstag, dem 21. August, will die Polizei Julian Assange im Laufe des Tages für eine Vernehmung festnehmen. Sie hatte Wind davon bekommen, dass der Wikileaks-Mann in einem Stockholmer Hotel wohnte. Doch die Geschichte mit den angeblichen Vergewaltigungen war bereits um 5 Uhr morgens auf dem Online-Portal Expressen.se aufgeschaltet worden. Als die Polizisten kommen, hat Assange bereits ausgecheckt.

Assange trifft sich am 30. August freiwillig mit der Polizei: Dabei behauptet er, die Sexklagen sollten ihn «mundtot» machen. In der Zwischenzeit versucht Anna Ardin ihren Twitter-Eintrag vom Morgen nach der gemeinsamen Nacht mit Assange zu löschen. Vergeblich. Voller Begeisterung hatte sie mitgeteilt: «I am with the world's coolest smartest people, it's amazing!»

Routinierte Klägerin

Für Anna Ardin ist dies allerdings nicht die erste Klage wegen sexueller Belästigung: Nach einem Vortrag über Gleichstellung an der Universität Uppsala soll ein Student ihr eine SMS geschickt haben. Ardin sah darin eine «typische männliche Technik», um sie sexuell herabzusetzen – und zeigte ihn an. Obwohl er sich daraufhin entschuldigte, zog sie die Klage nicht zurück.

In Blogs und Foren weltweit herrscht Unverständnis für das Vorgehen der zwei Schwedinnen. In Schweden sei «alles Vergewaltigung», wird gewitzelt. «Verschüttet jemand seinen Kaffee, ist es Vergewaltigung, wenn jemand während eines Meetings laut hustet, ist es Vergewaltigung.» Sie sehen in Ardin einen CIA-Kontakt, der Assange nach Schweden eingeladen und in eine Falle gelockt hat. Wahrscheinlich, so vermuten seine Anhänger, sei ihr das gelungen, weil der Hacker «ein gestörtes Verhältnis zu Frauen» habe und von seinen Idealen so besessen sei, dass er nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Traum unterscheiden könne. Eine romantische Vision der Dinge, die nun ein Richter zu klären hat.

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